kulturblogg

schönes, erfreuliches
und bemerkenswertes

»There’s something sacred about reading a blog post on someone else’s site. It’s like visiting a friend’s house for a quick meal ’round the breakfast table. It’s personal—you’re in their space, and the environment is uniquely suited for idea exchange and uninterrupted conversation. In many ways, we should be treating our blogs like our breakfast tables. Be welcoming & gracious when you host, and kind & respectful when visiting.«
Trent Walton

The Romeo

Der Choreograf Trajal Harrell ist der letzte, der sich vorstellt. Die anderen, lassen uns wissen, wie oft sie in Disney Land waren (65 mal), oder welcher Nationalität sie angehören (I am French. Nobody is perfect.) Offene Bühne, volles Saallicht.

Und dann beginnt das Spiel: »Wir weben, wir weben!« schrieb Heine. Die Zeile könnte eine Überschrift sein für diesen Tanzabend. Jeder einzelne Spieler spinnt seinen individuellen Faden, bringt seine Einzigartigkeit in diesen Kosmos aus Bewegung; so verbindet sich das ganze Ensemble zu einem organisch atmenden Körper. Jeder der 14 Tänzer des Schauspielhaus Zürich Dance Ensembles webt seinen eigenen Ausdruck in diesen großen Teppich, der sich über anderthalb Stunden, Faden um Faden, verdichtet. Auch der Klangteppich verwebt zu einer filmischen Grundierung aus unterschiedlichsten Genres, wie Pink Floyd, Vladimir Cosma oder Erik Satie enthebt uns der Zeit, Leben und Tod.

Kongenial sind die Kostüme bei jedem neuen Auftritt neu erdacht, Versatzstücke tauchen immer wieder auf, zu neuen Kombinationen verschnitten, kulturelles Erbe geöffnet, vorgetragen wie Haut Couture. Wir entdecken Preisschilder, Kleiderbügel-Fragmente, Hemden als Kleider, Röcke als Oberteile getragen. Repetition und Variation finden wir auch in den Bewegungsmustern: ägyptische Armhaltungen, griechische Kreistänze, höfische Gruppentänze. Die immer gleichen Abläufe hypnotisieren und entwickeln einen mythologischen Sog.

Über den Abend scheinen sich auch die Bewegungen mehr und mehr zu befreien. Wir erleben ein Fest aus Körperformen, Klangfarben und kulturellem Ausdruck. Das Freie braucht die Offenheit und Imperfektion. Großes Tanztheater, das sich von Vorstellung zu Vorstellung weiter verdichten wird und immer neue Transformationprozesse anstoßen wird. Dringend empfohlen, nicht nur für Tanzfans.

Schauspielhaus Zürich, Pfauen
Mo 03.04. 20:00 
Sa 08.04. 20:00 
Sa 15.04. 20:00
So 16.04. 16:00
Do 27.04. 20:00
Fr 28.04. 20:00
So 30.04. 17:00
Mo 01.05. 18:00
So 07.05. 16:00
Mo 22.05. 20:00 

Walküre

Ein Wolf, ein Flügel, Wotan in Unterhosen, Flüchtlinge als stummer Chor und das Ganze in einem Bühnenraum voll gepfercht mit alten Koffern. Dazwischen Nebel, schwebende Sieglinden, Saallicht, Hojotoho. Viel Trubel und wenig Zusammenhang hat das Regieteam um Stefan Herheim da auf die Bühne gestellt. Nach 30 Jahren ein brandneuer Ring (Premiere 27.9.2020), bei dem man zum Verständnis einen Beipackzettel braucht: und auch der macht aus den einzelnen Effekten leider kein Erzähltheater.

In diesem »Kofferraum« tummeln sich große Stimmen, die große Freude machen: Nina Stemme als Brünnhilde, Annika Schlicht als Fricka und Lise Davidsen als Sieglinde. Aber Stefan Herheim schafft es nicht diesen Frauenfiguren neuen Raum zu verschaffen oder den Walküren zu neuen Höhen zu verhelfen. Sie müssen sich mit Untoten herumschlagen und sich vergewaltigen lassen.

Der Göttervater Wotan, gesungen von John Lundgren, schwebt bei Zeiten über allem und auch hier scheint die Regie den zarten Momenten im Weg zu stehen. Das Lebewohl weiß Lundgren beileibe so zu singen, dass man schmilzt – das hat er in Bayreuth und auf den großen Opernbühnen bewiesen. Es wäre als fehlte nicht nur an dieser Stelle die Ruhe und der Raum für die Musik und die Worte.

Ein neuer Ring, ein neues Ding. Große Erwartungen. Bravos und Buhs im tosenden Schlussapplaus.

Deutsche Oper Berlin
So 4. Oktober 2020 um 16 h
Do 8. Oktober 2020 um 17 h
So 11. Oktober 2020 um 16 h
Fr 13. November 2020 um 17 h
So 15. November 2020 um 16 h

2.10.2020

Hexploitation

»Was treibst du, wenn dich niemand sieht?«, fragt Sebastian, der einzige Mann im Performance-Kollektiv She She Pop. Der Abend »Hexploitation« ist eine Versuchsanodnung, um den Zusammenhang von Körper, Kapitalismus und Klimakterium aufzudecken. Es geht um Alter, Schönheit und Scham – im Mikrokosmos und Makrokosmos. Der Abend beginnt mit einer Nacherzählung des Film Gaslight von 1944. Der weiblichen Hauptfigur wird etwas eingeredet. Narrative reden uns etwas ein, bis wir sie selbst glauben. Wer die Narrative bestimmt, bestimmst also das Denken. »Hexploitation« hinterfragt die Narrative von Jungendwahn und Faltenfreiheit. Wir erfahren, dass die WHO die Menopause als »climacteric syndrome« definiert, also als Krankheit einstuft. »Ich bin bereit für die Nahaufnahme!«, ruft Johanna. Aber die vermeintliche Nabelschau mit Menstruationsblutberechnung fordert vor allem auf zu einem kritischen Hinterfragen der aktuellen Narrative, etwa der pandemischen. Wir alle, Zuschauer und Performer, sitzen in der She She Pop Inszenierung aus Hitzewallung, Horrorfilm und Hexenküche und dürfen uns fragen, mit welchen viel größeren Narrativen wir täglich bespielt werden. Was also bestimmt unser Denken? In diesem Sinne ein wahrhaft enthüllender Abend. Hebbel am Ufer Berlin, HAU2 Di 22. September 2020 Mi 23. September 2020 Do 24. September 2020 jeweils um 20 h Kampnagel Hamburg, K2 Fr 30. Oktober 2020 um 20:30 h Sa 31. Oktober 2020 um 20:30 h So 1. November 2020 um 18 h Weitere Termine finden Sie hier.

Judith/Herzog Blaubarts Burg

Das Dunkle. Sie bringt es ans Licht: Judith, die Ermittlerin, und Katie Mitchell, die Regisseurin. Das dunkle Geheimnis des Herzog Blaubart, der Mann, durch dessen Unterbewusstsein das Psychodrama führt. Ein Mann, der durch stetiges Bitten Judiths Tür um Türe öffnet. Herausgekommen ist ein fabelhafter Doppelabend mit Musik von Béla Bartók. Bei dem geht es weit ruhiger zu auf der Bühne der Bayerischen Staatsoper, als man das von Katie Mitchell kennt: Die Film-Ouvertüre entsteht nicht live, sie wurde vorproduziert. Auch der zweite Teil ohne Kameras; eine naturalistische Märchenerzählung, albtraumhaft mit melodramatischem Ende. Mitchell schafft jedoch etwas von ihrer typischen Erzählweise formell umzusetzen: Die Szenen ziehen praktisch am Publikum vorbei. Sieben Räume mit den sieben Türen bewegen sich von rechts nach links als würde man einen Filmstreifen gegen das Licht halten. Damit bringt die Regisseurin den Symbolismus der Blaubart Sage kongenial mit dem Impressionistischen von Béla Bartóks Musik zusammen: Meine Erinnerungen sehen mich. Der Abend ist ein Sieg der Frauen, auch wenn es zu Beginn noch nicht so aussieht. Am Pult leuchtet Oksana Lyniv, Nina Stemme als Judith, die Blaubart führt ohne dass er das merkt. Damit gelingt Judith die Opfer-Täter-Umkehr, die Mitchell inszeniert. Der Abend erzählt aber auch von Paardynamik, Liebe als Ware und der Unterschiedlichkeit von Männern und Frauen. Die Bayerische Staatsoper hat mit Nina Stemme (Judith) und John Lundgren (Blaubart) zwei Weltstars für Bartóks einzige Oper gewonnen. Die beiden singen oft zusammen und bringen, neben den stimmlichen Dimensionen, besonders eine darstellerische Tiefe in die Handlung, die sie zu einer eine Idealbesetzung macht. Die Münchner goutierten das mit langem Applaus. Bayerische Staatsoper München So 9. Februar 2020 um 18 h Do 13 Februar 2020 um 19 h So 16. Februar 2020 um 18 h Sa 27. Juni 2020 um 18 h Mo 29. Juni 2020 um 19 h

Kanon

»Was ist Ihr Theatermoment?« fragt Sebastian Bark ins Publikum. »Schließen Sie die Augen und besuchen Sie den Augenblick, der Sie bewegt hat.« Nach diesen magischen Momenten suchen sie zwei Stunden lang: She She Pop und Gäste fächern in ihrer neuesten Produktion einen Kanon aus Theatererlebnissen auf, von Jérôme Bel bis Christoph Schlingensief.

Sieben Performerinnen und Performer stecken in Overalls mit lebensgroßen Kunstikonen. Sie »verkörpern« Valie Export, Marina Abramović, Yoko Ono, Joseph Beuys, Yves Klein. Auch das Kostümbild versteht sich als Kanon.

Es geht in »Kanon« aber nicht um die Alternativen zum bildungsbürgerlichen Sprechtheater, vielmehr entwickelt der Abend immer dann seine Kraft, wenn die Spieler teilen, was sie wirklich in Bewegung gebracht hat, wenn sie sich trauen die Berührungspunkte offen zu legen. Dann wird aus dem Zeigen ein Teilen, und im Besten Sinne des Postdramatischen entsteht in diesem Moment eine Gemeinschaft im Theaterraum: aus Akteuren und Publikum im Hier und Jetzt.

Fabelhaft gelingt das Brigitte Cuvelier, die »Mörder Woyzeck« von Johann Kresnik aus dem Jahr 1987 nacherzählt, während die Anderen auf der Bühne versuchen die Szene nachzustellen. Warum dieser Moment für sie lebensverändernd war, lässt sie uns miterleben und mitfühlen.

Eine Hymne an die flüchtige Kunstform des Performativen. The Show Must Go On.

Hebbel am Ufer, Berlin, HAU 2
Sa 23. November 2019 um 21 h
So 24. November 2019 um 21 h
Mo 25. November 2019 um 20 h
Di 26. November 2019 um 20 h
Do 12. März 2020 um 19 h
Fr 13. März 2020 um 19 h
Sa 14. März 2020 um 19 h

Mousonturm, Frankfurt am Main
Do 23. Januar 2020 jeweils 20 h
Fr 24. Januar 2020 jeweils 20 h
Sa 25. Januar 2020 jeweils 20 h

But Beautiful

Was passiert, wenn wir uns mit dem Rhythmus des Planeten verbinden? Und wie erreichen wir die höchste Verbundenheit allen Seins? Der Filmemacher Erwin Wagenhofer lässt uns eintauchen in die Welt der Musik, der Natur und der Liebe: Er lässt uns teilhaben an seiner Spurensuche eines gelingenden Lebens. Wir sehen Frauen ohne Schulbildung, die Solaranlagen für ihre Dörfer bauen, Ödland, das wieder zum Blühen kommt, Menschen, die ihrem Herzen folgen. Anders als in seinen Vorgänger-Filmen legt Erwin Wagenhofer nicht den Finger in die Wunde. Vielmehr steckt er uns an mit vibrierenden Positivbeispielen, die uns zeigen, dass wir etwas bewegen können, wenn wir uns die Freiheit nehmen. Dörfer, Inseln, Kontinente: dort treffen wir Erich und Barbara Graf, Bunker Roy, Kenny Werner, Erwin Thoma – und den Dalai Lama. Wir lernen, wie man energie-autarke Holzhäuser bauen kann, wenn man auf den Mond hört, wie Frieden entsteht, wenn wir zusammenarbeiten und warum Frauen die Weltveränderer sind. In über fünf Jahren sind 400 Stunden Material entstanden, die Wagenhofer mit seinem Team in 14 Monaten zu einem zweistündigen Opus destilliert. Der Film lockt uns ins Freie, erklärt wenig, lässt Raum. Mehr Meditation, weniger Dokumentarfilm. Große Ermutigung, großes Kino. Gehen und Sehen. But Beautiful auf der großen Leinwand: Hamburg, Abaton Kino Fr 15. November 2919 um 17:30 h mit Erwin Wagenhofer und Sabine Kriechbaum Leipzig, Passage Kinos So 17. November um 13 h mit Erwin Wagenhofer und Sabine Kriechbaum Zürich, Kosmos Kino Di 19. November um 18 h Vorpremiere mit Erwin Wagenhofer und Sabine Kriechbaum Weitere Termine mit den Machern Kinofinder Deutschland Kinofinder Österreich Kinofinder Schweiz

Don Giovanni

Die Schichten von Wolfgang Amadeus Mozarts Komposition gehen direkt vom ersten Ton an unter die Haut – und das ist Adam Fischers musikalischer Leitung zu verdanken. Don Giovanni gehört zu Adam Fischers »Herzstücken«. Das sieht man seinem Dirigat an. Die drei Stunden Oper absolviert er hinreißend feinsinnig, ganz ohne Partitur. Der Dirigent wird Teil der Inszenierung, für die Zuschauer sichbar, indem Adam Fischer aus dem Orchestergraben herausragt. Die Hamburgische Staatsoper bringt die Wiener Fassungen von Mozarts Oper Don Giovanni zur Aufführung und komplettiert damit ihre Mozart/Da Ponte-Trilogie. Selten sieht man eine so durchgängige Ensembleleistung hochkarätiger Stimmen, die sich mit Spielfreude in die drehenden Bühnenbauten hineinwerfen. Kyle Ketelsen liefert mit seinem Leporello ein absolut sängerisches und spielerisches Glanzlicht. Mit seiner Figurenführung schafft es Jan Bosse Mozarts musikalische Schichten differenziert aufscheinen zu lassen. Andrè Schuens Don Giovanni offenbart eine tiefe Sehnsucht nach Liebe. Allein seine funkenschlagende Begierde hält ihn davon ab zur wahren Liebe vorzudringen. Trotz teurer Feste und Champagner Arie bleibt Don Giovanni einsam bis zum Ende der Oper, seiner Höllenfahrt. Große Oper. Sehenswert. Staatsoper Hamburg Mi 23. Oktober 2019 um 19 h Sa 26. Oktober 2019 um 19 h Di 29. Oktober 2019 um 19 h So 3. November 2019 um 19 h Mi 6. November 2019 um 19 h Sa 9. November 2019 um 19 h

Isadora Duncan

Jérôme Bel setzt seine persönliche Enzyklopädie des Tanzes fort. Diesmal mit einer Toten: Isadora Duncan (1877–1927). Die Autobiografie der Tanzikone, die den Tanz revolutioniert, hatte Jérôme Bel so inspiriert, dass er ein Stück über die unabhängige Frau machen wollte. Er fand die Tänzerin Elizabeth Schwartz, die von einer der Adoptivtöchter, der Isadorables, die überlieferten Solotänze weitergegeben bekam. Der Abend besticht mit seiner klaren Struktur. Die Zuschauer sehen jede Choreografie viermal: beginnend mit der Musik allein (von Schubert, Chopin und Skrjabin), dann Klavier und Tanz, dann die Bewegung mit Erläuterungen und ohne Musik und noch mal der Tanz mit Musik. Diese analytische Sezierung der Arbeit von Isadora Duncan lässt eine unerwartete Spannung entstehen und lässt einen aufmerksam werden für die filigranen Details, die eng mit der Biografie von Isadora Duncan verwoben sind. Ein gelungenes Stück Konzeptkunst für die Bühne, eine Lecture Performance zum Mitmachen. Tanz im August, Deutsches Theater Berlin So 18.8.2019 um 19 h Paris, Centre Pompidou, Festival Automne 3.–5. October 3 to October 5 November 28 to November 30 Aubervilliers (France), La Commune centre dramatique national d'Aubervilliers 28.-30. November 2019

Mega Israel

Dieser Tanzabend ist nichts weniger als mega. Wer mit so einem Titel antritt, wie die Gauthier Dance/ /Dance Company legt die Latte auf Toplevel. Und Eric Gauthier weiß, was er tut. Die vier strahlendsten Choreographen aus Israel, Hofesh Shechter, Gai Behar und Sharon Eyal, Ohad Naharin, haben ihre gefragtesten Stücke mit der Company aus Stuttgart einstudiert. Der Abend löst ein, was er verspricht und katapultiert die Gauthier Dance/ /Dance Company damit in die Weltspitze. Weichheit und Wildheit bringt Hofesh Shechter in »Uprising« zusammen. Nach dem raufwütigen Männerstück setzen Gai Behar und Sharon Eyal mit sechs Tänzerinnen einen radikalen Kontrapunkt: »Killer Pig« könnte zeitgenössischer nicht sein. »Minus 16« von Ohad Naharin bringt das Publikum zum Kochen. Gerade im Zusammenhang entwickeln die drei Stücke eine Dynamik mit maximaler Sprengkraft und niemand verlässt unbewegt den Saal. Mega Applaus. Haus der Berliner Festspiele, Berlin Fr 12. April 2019 um 20 h Sa 13. April 2019 um 20 h So 14. April 2919 um 20 h Restkarten an der Abendkasse Theater Schweinfurt Fr 3. Mai und Sa 4. Mai 2019 Tollhaus Karlsruhe Di 7. und Mi 8. Mai 2019 Grand Théâtre de la Ville de Luxembourg Di 21. Mai 2019 um 20 h

Idea

»The mind, once stretched by a new idea, never returns to its original dimensions.«
Ralph Waldo Emerson

Kluge Gefühle

It’s showtime: Das Stück beginnt mit einer der »36 Fragen« aus Arthur Arons soziologischem Experiment von 1997. Es hätte auch gut Frage Nr. 24 sein können: »Was denkst du über die Beziehung zu deiner Mutter?» Um eine Mutter-Tochter Beziehung geht es in »Kluge Gefühle«, um Verletzlichkeit, Einsamkeit, Gewalt, Tod und Tabu. Es ist die Geschichte der Autorin Maryam Zaree. Im Stück heißt sie Tara, gespielt von Eva Bay. Die eigentlich zentrale Figur aber ist die Mutter Shahla: Anke Engelke lässt sie bei ihrer Aussage vor dem Tribunal in Den Haag ganz pur und gerade vortragen – ohne Pathos, dafür mit viel Menschlichkeit. Es gelingt Anke Engelke die wenigen Sätze über die drastischen Ereignisse in Evin, dem meinst gefürchtetsten Foltergefängnis des Iran, fühlbar zu machen. Sie stellt sich furchtlos zur Verfügung und lässt das wirken, was sie sagt. Das schafft einen Raum für geteilte Erfahrung. »Kluge Gefühle« ist Maryam Zaree erstes Theaterstück, Nils Bormanns erste Regiearbeit und Anke Engelkes erste dramatische Theaterrolle. Anders als die Uraufführung beim Heidelberger Stückemarkt im April diesen Jahres verortet das Regie/Dramaturgen-Team Bormann/Zaree die Inszenierung zwischen einer Sitcom a la »Linie 1« und einem nüchternen Doku-Drama. Trotz manch stereotyper Phrasen und inszenatorischer Mutlücken ein klug gebauter Erstling und eine Anke Engelke, die man gesehen haben muss. HAU 3, Hebbel am Ufer, Berlin Mi 13. Juni 2018 um 20 h Do 14. Juni 2018 um 20 h

Rückkehr nach Reims

Als sein Vater stirbt, reist Didier Eribon zum ersten Mal nach Jahrzehnten der Abwesenheit in seine Heimatstadt Reims. Eribon hat ein Buch darüber geschrieben, viele Interviews gegeben. Thomas Ostermeier hat zusammen mit Sébastien Dupouey einen Dokumentarfilm dazu gedreht, der im Stück ein zentrales Element bildet. Der Autor Eribon erzählt seine persönliche Geschichte und fragt, warum ein Großteil des kommunistisch wählenden Milieus, dem er entstammt, inzwischen zum Front National übergelaufen ist. Es gibt Regionen, in denen der FN sechzig, siebzig Prozent der Stimmen bekommt. Die Arbeiter fühlen sich verraten und verkauft. Sie kommen nicht vor. Niemand sieht sie. Was findet man also an diesem Theaterabend, was die Medien nicht schon ausführlich verhandelt hätten? Ostermeier lässt in weiten Teilen Nina Hoss das Voice-over zu den Filmbildern im Hintergrund live einsprechen. Das Tonstudio-Bühnenbild macht die Anordnung aber noch nicht zum Theaterstück und so gibt es in der zweiten Hälfte Dialoge zwischen der Figur des Dokumentarfilmregisseurs, dem Tontechniker und Nina Hoss, die Nina Hoss spielt. Deindustrialisierung, Neoliberalismus, schwuler Autor, das sind bekannte Zutaten und keine »Breaking News«. Einziger irritierender Moment, als Nina Hoss weiter mit vierter Wand spielt und zeitgleich die beiden anderen Darsteller mit dem Publikum interagieren: Es gibt Migranten-Rap zum Mitklatschen. Alles Theater? Als der Eribon Text fertig gesprochen ist bringt Nina Hoss ihren Vater ins Spiel. Und das ist das hoffnungsfrohe Surplus. Sie spielt, dass sie sich dazu überreden lässt die Geschichte von Willi Hoss zu erzählen (der Kommunist, Grünenmitgründer und Umweltaktivist ist ihr Vater im echten Leben). Man glaubt ihr das Zögern nicht. Vielleicht, weil die Figur Nina Hoss in diesen letzten Minuten des Stückes sich mit Willis Tochter konfrontiert sieht. Ein atmosphärisch gut gebauter Abend – und doch wenig überraschend. Schaubühne Berlin Di 8. Mai 2018 um 20 h Mi 9. Mai 2018 um 20 h Do 10. Mai 2018 um 20 h Fr 11. Mai .2018 um 20 h Sa 12. Mai .2018 um 16 h Di 15. Mai 2018 um 20 h, englisch Mi 16. Mai 2018 um 20 h, englisch

Faust

Ein Rausch, ein Fest, ein Faust. Faust nach Castorf. Sieben Stunden. Text-Konglomerat aus Goethe, Zola, Fanon, Sartre, Celan. Und schnell und unbegreiflich schnelle wechseln magische Momente mit tiefem schauervollen Verwandlungswust. »Kunst braucht Wahnsinn«, sagst Castorf und bietet alles auf, was er und seine Spieler und Künstler in den letzten 25 Jahre trainiert haben. Martin Wuttkes Faust lässt einen staunen – mit wie viel Selbstverständlichkeit er das alles sein kann: alt, jung, epileptisch, sehnend, fühlend, abgründig. Marc Hosemanns Mephisto, der unruhige Pudel, treibt Faust zum globalen Unternehmertum, Egotrip XXL. Alexander Scheer lässt es krachen als Chris Dercon, als Lord Byron, als Anaxagoras. Dem männlich verdrängenden Prinzip entgegen reitet Valery Tscheplanowa leuchtende Margarete, die ewig Weibliche. Da erscheint, wie das As aus dem Ärmel, Sophie Rois. Als Hexe singt und zaubert sie ganz in ihrem Element. Vom Feinsten. Auch die Bühnenmaschine aus Kamera- und Technikteam liefert Hollywood in Echtzeit. Zur Hölle! L’enfer! Algerienkrieg, Kolonialisierung, Holocaust, Pariser Metro Station Stalingrad. Man versteht nicht alle der uferlosen Assoziationen, Seitenhiebe, Anspielungen, Lachnummern, Durchhänger, Nebenfiguren. So sagt Monsieur Bordenave: »Was bedeutet es? Und wenn es nichts bedeutet, warum ist es dann so lang?« Zustimmendes Raunen im Zuschauerraum. Wer hat gewonnen? Nach sieben Stunden ist das egal. Brillant gespielt, volles Rohr, alles gegeben. Großes Welttheater. Berliner Festspiele Mo 7. Mai 2018 um 18 h Di 8. Mai 2018 um 18 h

Null

Nichts ist in diesen Zeiten mehr sicher, nicht mal die Null. Im neuen Stück von Herbert Fritsch loten, suchen, verlieren sich neun Spieler im »groud zero« der ausgeräumten Schaubühne. Die Null ist nicht Nichts, also muss da etwas zu finden sein. So gibt es im ersten Teil eine Ver-Suchs-Anordnung mit gesprochenen und gesampelten Versatzstücken, wie aus einem Probenmittschnitt, aufgehängt als schwebendes Verfahren. Ist man beim Tanztee mit zwei Schritt nach vorn und zwei zurück wieder bei Null? Ist die Mitte auch eine Richtung? Der Stillstand eine schwarze Null? Ist es nichtssagend, wenn man nichts sagt? Und nähert man sich so der Null? Es wird gependelt, geschritten, getanzt, durchwandert, umrundet, geträllert, geblasen, gestapelt (hoch und tief), gerutscht, geleert, gefüllt, bevölkert. Am Ende erfreut die Null-Nummern-Revue als eine Aneinanderreihung von Fingerübungen: mit leuchtenden Momenten, mit Längen, aber echte Stille als Nullpunkt trauen sie sich nicht. Zum Finale mündet die symphonische Extase auf Blechblasinstrumenten in einen Mensch-Maschinen-Tanz. Alles virtuos vorgeturnt, schadenfreudig überspannt und doch für den großen Wurf etwas flach gespielt. Schaubühne, Berlin Mo 26. März 2018 um 20:30 h Di 27. März 2018 um 20:30 h Mi 28. März 2018 um 20:30 h Fr 30. März 2018 um 20:30 h So 1. April 2018 um 20 h Mo 2. April 2018 um 20 h Fr 27. April 2018 um 20 h Sa 28. April 2018 um 20:30 h So 29. April 2018 um 20.30 h Mo 30. April 2018 um 20 h Di 1. Mai 2018 um 20 h Mi 2. Mai 2018 um 20 h

Grüß mir den Mond!

Ulrich Tukur und die Rhythmus Boys führen uns mit Ihrem neuen Programm durch die Nacht – es beginnt mit Wolfgang Borcherts Laternentraum: »Wenn ich tot bin, möchte ich immerhin so eine Laterne sein …«. Ulrich Tukur spricht so vertraut aus dem Bühnendunkel, als säße er neben einem auf der Bettkante. Und dann dreht das Quartett auf: mit Spielfreude, Eleganz, Witz, Swingmusik und deutschen Chansons aus den 1920 und 30er Jahren. Die Klassiker »Moonlight Serenade«, »Moonglow«, »Night and Day« unterbricht Ulrich Tukur mit abstrusen Geschichten über seine alten Freunde Cole Porter, Benny Goodman, Glenn Miller und Neil Amstrong (ja, den auch). In der zweiten Hälfte tauschen sie die tadellosen Anzüge gegen Pyjamas ein: Ulrich Mayer, Günter Märtens, und Kalle Mews geben zusammen mit dem Schauspieler Ulrich Tukur die Klang- und Schwingungserzeuger, dazwischen Gedichte und Geschichten, die sich bisweilen in mondähnliche Höhen versteigen. Es kommen allerlei Beerdigungen und Caravanen vor und so lernen wir, dass »Dream a little dream of me« schon 1931 geschrieben wurde oder die BVG in »Mit der letzten Straßenbahn« von 1943 vorkommt. An Musikalität und Unterhaltung ist die Reise zum Mond nicht zu überbieten. So schwingt und klingt der Abend aus: tosender Applaus. An Schlaf ist nicht zu denken. Theater am Kurfürstendamm, Berlin So 18.2.18 um 19 h Mo 19.2.18 um 20 h Scharoun Theater, Wolfsburg Do 22. Februar 2018 um 19:30 h Schauspielhaus Bochum Fr 23.2.18 Bochum, Schauspielhaus Weitere Termine: 24.2.18 Leverkusen, Erholungshaus 25.2.18 Leverkusen, Erholungshaus 27.2.18 Oberhausen, Ebertbad 28.2.18 Oberhausen, Ebertbad 01.3.18 Dortmund, Konzerthaus 02.3.18 Bielefeld, Oetkerhalle 03.3.18 Hannover, Theater am Aegi 04.3.18 Hannover, Theater am Aegi 05.3. Nürnberg, Theater 07.3.18 München, Prinzregententheater 09.3.18 Freiburg, Theater 10.3.18 Friedrichshafen,Graf Zeppelin Haus 11.3.18 Heidelberg, Historische Stadthalle 12.3.18 Frankfurt, Alte Oper 13.3.18 Stuttgart, Theaterhaus 15.3.18 Karlsruhe, Tollhaus 16.3.18 Erfurt, Alte Oper 17.3.18 Dresden, Kulturpalast 18.3.18 Leipzig, Gewandhaus 19.3.18 Hamburg, Laeiszhalle 20.3.18 Hamburg, Laeiszhalle

Michael Kohlhaas

Es beginnt mit einem Zaubertrick: Kohlhaas wird geköpft. Vorhang. Ein Satz von Kleist mit Märchenerzählerstimme aus dem Off. Dann eine lange Slapsticksequenz: drei Spieler in einer Bretterbude (Thomas Niehaus, Jörg Pohl, Paul Schröder). Man hält sie für reaktive Beamte, die aussehen wie Untote und eintreffende Weisungen ausführen, bis sich nach 42 wortlosen Minuten herausstellt, dass sie Unternehmer sind (die Gebrüder K. nämlich) und die Flut der Weisungen sie plötzlich übermannt. Antú Romero Nunes setzt bei seiner Inszenierung alles aufs Spiel. Er scheitert und gewinnt zugleich und es ist ihm Ernst mit beidem. Wie Michael Kohlhaas. Kohlhass will sich Recht verschaffen. Kleist beschreibt den Konflikt zwischen Naturrecht und positivem Recht, das durch Gesetzgebung entsteht. Der Abend ist eine vehemente Aufforderung sich genau damit auseinander zu setzen. Wenn Konzerne praktisch keine Steuern zahlen, ist die öffentliche Erregung groß. Nach geltendem Recht tun sie nichts Ungesetzliches. Es muss das positive Recht also dem ethisches Empfinden (Naturrecht) angepasst werden. Das fordert Kohlhass für sich ein. In einem Feuerwerk aus Ideen und Anspielungen prasseln, lodern, brennen die Kohlhaas’schen Fragen nach Ordnung und Unordnung, Macht und Ohnmacht, Recht und Gerechtigkeit, Verunsicherung und Sicherheit, Verfolgen und Verfolgt, Kampf und Verletzlichkeit, Scheitern, Gelingen und danach ein Ende zu finden. Nunes glückt das Kunststück einer komödiantischen Tragödie, einer tragischen Komödie. Ein kluger Abend mit reichlich Stoff sich zu erregen. Thalia Theater Hamburg Sa 27. Januar 2018 um 19:30 h Di 6. Februar 2018 um 20 h Sa 10. Februar 2018 um 20 h So 11. Februar 2018 um 15 h So 18. Februar 2018 um 19 h Fr 23. Februar 2018 um 20 h Sa 10. März 2018 um 20 h Mi 14. März 2018 um 20 h Do 15. März 2018 um 20 h Mo 23. April 2018 um 20 h Di 15. Mai 2018 um 20 h Fr 25. Mai 2018 um 20 h Do 07. Juni 2018 um 20 h So 17. Juni 2018 um 17 h Sa 23. Juni 2018 um 14 h

Nederlands Dans Theater

»Das Beste. Oder Nichts«, sagte einst Gottlieb Daimler. Dieser Abend ist das Beste. Vier Stücke von drei Choreografinnen und zwei Choreografen spannen den Bogen des zeitgenössischen Tanzes von Marco Goeckes bizarren Gewaltbewegungen »Woke up Blind« bis hin zum seelenvollen Fließen und Kreisen von Sol León & Paul Lightfoots »Safe as Houses«, das das I Ging, das Buch der Wandlungen, mit Bachs »Komm süßer Tod« zu Ende malt. Dazwischen entkommen wir bei »The missing door« kaum dem Sog des futuristischen Irrgartens von Gabriela Carrizo aus Räumen, Zeitschleifen und unterdrückten Figuren. Mit Crystal Pites »The Statement« erklimmt das Ensemble des Nederlands Dans Theater den Gipfel. In rasendem Tempo und mit einzigartiger Präzision performen vier Tänzer einen Dialog aus Worthülsen. Jonathon Young hat die Texte geschrieben, die als Soundtrack aus dem Off die Bewegungen unterlegen. Jeden Tag hört man Politiker solche Sätze sagen, die eigentlich nichts sagen. Die Diskrepanz zwischen gesprochenem Wort und Subtext wird deutlich. Die Archaik der Bewegung macht die Absurdität des intellektuellem Geschwafels erst sichtbar und spürbar. Crystal Pites lässt die Tänzer mit dem Konferenztisch, miteinander und mit den gegnerischen Parteien interagieren. Ihre prägenden Jahre mit William Forsythe und seiner Company werden hier deutlich. Die überragende darstellerische Ausdruckskraft der NDT-Tänzerinnen und Tänzer zusammen mit den innovativsten Choreografinnen und Choreografen unserer Zeit machen diesen Abend zu einem wahren Gesamtkunstwerk. Haus der Berliner Festspiele, Berlin Mi 29. November 2017 Do 30. November 2017 Fr 1. Dezember 2017 Sa 2. Dezember 2017 jeweils 20 h Festspielhaus Baden Baden Sa 16. Juni 2018 um 18 h So 17. Juni 2018 um 17 h Sadler’s Wells, London Di 26. Juni 2018 Mi 27. Juni 2018 Do 28. Juni 2018 Fr 29. Juni 2018 jeweils 19:30 h

Caligula

»Die Menschen sterben und sie sind nicht glücklich,« sagt Caligula am Anfang des anderthalb stündigen Abends. Er stellt das fest, aber glauben können wir ihm an keiner Stelle, dass er nur »ein wenig glücklich sein möchte.« Constanze Beckers Caligula scheint im Trockengefrierverfahren jedes Leben und jede Menschlichkeit verloren zu haben. So sinnentleert die Figur von Mord zu Mord Richtung Selbstzerstörung stolziert, so wenig betrifft uns das, was auf der Bühne passiert. Antú Romero Nunes zielt hoch und stellt auch seinen Glauben an Theater, an Kunst in Frage. Sein groteskes Spektakel erzeugt Momente poetischer Absurdität und Kraft, wenn etwa die eben gemeuchelte Annika Meier virtuos wieder aufersteht. Das macht sie mit großer Verve. Aber anders als bei Richard III oder Orestie erreicht Nunes mit seiner Inszenierung die humanitäre Relevanz des Camus Textes nicht. »Wer alles versteht, handelt nicht«, heißt es am Ende. Und so verstehen wir vielleicht nicht Nichts, aber doch zu wenig. Berliner Ensemble, Berlin Fr 29. September 2017 So 1. Oktober 2017 Mo 2. Oktober 2017 Di 10. Oktober 2017 Di 17. Oktober 2017 Mi 18. Oktober 2017 Mi 25. Oktober 2017 So 29. Oktober 2017 jeweils um 19:30

Kreatur

Ein Klang-, Licht-, Kostüm- und Bewegungsteppich vom Feinsten. Anderthalb Stunden lang breiten Sasha Waltz und ihre vierzehn Tänzer ein Perfektionssektakel auf der Bühne aus, das ästhetischer kaum sein könnte. Die Kostüme entstammen gleichsam einem Bauhaus des 21. Jahrhunderts und illustrieren, wie schöne Hüllen manchmal nur schöne Geräusche produzieren – ohne etwa zu erzählen. Es gibt die Waltz’schen Körperansammlungen, -entblößungen, -verknotungen, dazu Verzerrfolien, Pusteblumenoutfits, einen Balken, eine Treppe. Es tut sich viel, manchmal auch unisono, allein die Wildheit der Kreaturen hält sich in klar definierten Grenzen. Kontrolle dominiert. Ausbrüche oder Überraschungen fehlen. Vielleicht hätte der Abend als begehbare Installation in seiner Breite gut funktioniert, die Verdichtung des Stoffes zu einem Bühnenstück hätte man sich weit deutlicher gewünscht. Jubelrufe und Buhs.
Tanz im August, Haus der Berliner Festspiele Do 24. August 2017 um 21 h Radialsystem Berlin Mi 20. Dezember 2017 Do 21. Dezember 2017 Fr. 22. Dezember 2017 Mi 27. Dezember 2017 Do 28. Dezember 2017 Fr 29. Dezember 2017 jeweils um 20 h

David Bowie

»Tomorrow belongs to those who can hear it coming.«

Das achte Leben (Für Brilka)

Ein Sog, ein Brennen, ein Jahrhundertroman. Über 100 Jahre und 1200 Seiten umspannt der Roman von Nino Haratischwili, erzählt den Aufstieg und Fall des Kommunismus aus der Sicht von fünf Generationen der georgischen Familie Jaschi: Warum etwa aus dem freundlichen Kind Kostja ein gar nicht mehr freundlicher Großvater wird. Jette Steckel schafft mit ihrer Bühnenfassung eine magische Adaption, aus dramatischen Episoden und heiteren Momenten, die den Zuschauer fast fünf Stunden in ihren Bann zieht. Die neun Spieler verweben die Verstrickungen ihrer Figuren mit dem System, mit den Herrschenden, mit den anderen, zu einen großen roten Teppich, der im Laufe des Abends Stück für Stück abgerollt wird. Sie tanzen, singen und spielen vor historischen Filmprojektionen und geben eine Ahnung davon, wie es hinter dem eisernen Vorhang gewesen sein könnte. Geschichte ist immer erstmal subjektiv – bevor Historiker bemüht sind eine Art Objektivität herzustellen. Jette Steckel bringt uns die Subjektivität der Figuren ganz nah und schreibt damit Geschichte. Großes Kino, großes Theater. Stehende Ovationen. Thalia Theater Hamburg Di 11. April 2017 um 19 h Sa 22. April 2017 um 19 h So 23. April 2017 um 14 h Sa 6. Mai 2017 um 19 h So 7. Mai 2017 um 19 h Mo 15. Mai 2017 um 19 h Di 16. Mai 2017 um 19 h Mi 28. Juni 2017 um 19 h Do 29. Juni 2017 um 19 h Fr 7. Juli 2017 um 19 h

Lohengrin

Klaus Florian Vogt ist Lohengrin. Und seiner nicht einordenbaren gleichsam überirdischen Stimme kann man stundenlang zuhören. Er kommt als Gottgesandter, gestehst Elsa nach zwei Minuten seine Liebe, und stellt dazu gleich eine klare Bedingung: »Nie sollst du mich befragen …« – und damit eines der berühmtesten Leitmotive der Oper vor. Der mythische Retter mit Engelsflügeln findet in John Lundgren, als Friedrich von Telramund, einen starken Gegenspieler, dem stimmlich wie darstellerisch ein vielschichtiger und packender Zugriff gelingt. Es lohnt also die Besetzungsliste zu studieren. Kasper Holten will die politische Dimension des Stückes erzählen: Der Gerichtskampf ist auch ein Kampf um die Fürstenwürde von Brabant. Dafür hat er einige klare Bilder gefunden. Eine sehenswerte Inszenierung, die immer wieder mit Starbesetzungen aufwartet. Deutsche Oper Berlin So 5. Februar 2017 um 16 h

Salome

Nicht gerade eine schöne Geschichte, die Oscar Wilde dramatisierte und Richard Strauss vertonte. Beide fasziniert von der christlich-mythologische Frauengestalt, die fortan weibliche Grausamkeit und erotische Schönheit zugleich verkörperte. Claus Guth findet eine schlüssige Inszenierung für Strauss’ rauschhafte Musik und die scheinbar unerklärliche Grausamkeit der Salome. Aus dem Tanz der sieben Schleier macht er eine Rückschau in die Kindheit der Hauptfigur, so dass am Ende sieben Salomes über die Bühne tanzen. Der 90 Minuten Abend ist auch stimmlich hochkarätig besetzt: Allison Oakes dramatisiert kongenial diese Zerrissenheit der Figur, der Gewalt angetan wurde und die am Ende Gewalt antut. Ein hörenswerter Abend. Deutsche Oper Berlin Fr 13.01.2017 um 20 h

Wir sind viele

Eigentlich sind wir darauf trainiert weg zu schauen, wenn jemand anders aussieht oder sich anders bewegt. Die aktuelle Ausstellung »Wir sind viele« lässt uns hinschauen. Jim Rakete hat 50 Menschen mit Behinderungen fotografiert: mit Epilepsie, mit psychischen Leiden, mit Gewalt- und Suchterfahrungen, mit unheilbaren Krankheiten. Menschen, die obdachlos oder schutzbedürftig sind. Er bereiste dafür unterschiedlichste Einrichtungen Bethels: von Berlin bis Bielefeld, von Hannover bis Dortmund, Freistatt, Lobetal und Blütenberg. Und im Katalog kann man die Geschichten hinter den Gesichtern nachlesen. Das macht den Ausstellungsbesuch noch lebendiger. Eine große Ausstellung mit großen Portraits. Und Lebensfreude pur. Dringend empfohlen. Deutscher Bundestag, Berlin Bis Freitag 10. Februar 2017 geöffnet Montag bis Freitag 9 bis 17 Uhr Paul-Löbe-Haus, Eingang West Konrad-Adenauer-Straße 1, 11011 Berlin Besichtigung nur mit Anmeldung möglich. Anmelden kann man sich hier (es geht nicht ohne) Personalausweis beim Besuch bitte mitbringen.

Schönheit

»I came so far for beauty I left so much behind.«
Leonhard Cohen

Richard III

Was mit neun Toten enden soll beginnt mit einem Satz. Richard springt mitten in die Handlung und rührt die große Trommel: „Now is the winter of our discontent.“ Jörg Pohl turnt, tanzt und trommelt einen Richard, der ganz menschlich und nachvollziehbar bleibt, auch wenn er sich Mord um Mord tiefer in die Düsternis begibt. Antú Romero Nunes wirft mit acht fabelhaften Spielern einen klugen und differenzierten Blick auf Shakespeares Drama. Das Böse kann grotesk sein, absurd, heiter. Die Schlächter von Srebrenica sollen liebevolle Familienväter gewesen sein. Wie passen Grausamkeit, Liebeshunger und Zärtlichkeit zusammen? Jörg Pohl erzählt uns das so schlüssig wie virtuos. Dem Ensemble gelingt ein großer freier Abend, durchweht von Ahnungen der Menschlichkeit – und entlässt uns erstaunlich zuversichtlich. Thalia Theater Hamburg Sa 12. November 2016 um 15 h So 13. November 2016 um 19 h Do 8. Dezember 2016 um 20 h Di 13. Dezember 2016 um 20 h Mo 19. Dezember 2016 um 20 h Sa 17. Juni 2017 um 20 h So 18. Juni 2017 um 19 h Mo 3. Juli 2017 um 20 h Di 4. Juli 2017 um 20 h

Jérôme Bel

»Ich betrachte mich als bildenden Künstler,« sagt Jérôme Bel über sich. Und so benannte er sein zweites Stück einfach nach sich selbst. Das war 1995. Seine experimentelle Performance war seitdem über 160 Mal auf der ganzen Welt zu sehen. Die vier nackten Akteure sind noch die gleichen wie vor 20 Jahren. Nicht nur das macht die Inszenierung zur historischen Aufführung. Jérôme Bel zitiert aus den Happenings der 1960er Jahre und bringt diese wiederum in den Bühnenraum, spielt mit Köpern, Licht, Musik – und dem Publikum. In der einstündigen Performance entwirft Bel gleichsam eine humorvolle »Gegendarstellung« zum Tanz. Er konfrontiert unsere Sehgewohnheiten mit nicht ausgebildeten, nicht-erotischen Anti-Körpern. Er reduziert seine Idee des Nicht-Tanzes bis zu einem minimalistischen Nullpunkt, wo er jeden Erzählstrang verweigert. Was ist Identität? Die Summe aus Marken, Maßen, Größen, Gewicht und Kontoständen? Hebbel am Ufer, Berlin Fr 16. September 2016 im Anschluss Publikumsgespräch FIAF/Crossing the Line Festival, MoMA, New York Do 27.– Sa 29. Oktober 2016 FringeArts, Live Arts Festival, Philadelphia 2. und 3. November 2016 Bookend Festival, Walker Art Center, Minneapolis Fr 4. November 2016

Five Easy Pieces

Der Art Center CAMPO in Ghent bittet Milo Rau ein Kinderstück mit belgischen Kindern zu machen. Nichts ist für ihn naheliegender als ein Stück über Marc Dutroux zu entwickeln. Belgien – KInder – Dutroux. Es heißt »Five Easy Pieces«, wie eine Fingerübung von Igor Strawinsky. Easy ist in diesem Reenactment aber gar nichts. Der Stoff hat es in sich. Der Zuschauer wird konfrontiert mit dem Zuschauen im Theater, mit Voyeurismus und mit Unerhörtem, was man nicht hören will – von Kindern noch viel weniger. Die sieben Kinder zwischen 8 und 13 Jahren spielen und singen alles, ausser Marc Dutroux. Der bleibt eine Leerstelle, den will keiner spielen. Es gibt immer wieder Momente im Stück, an denen fragt man sich, ob es an Kindesmissbrauch grenzt, Kinder mit diesen Texten auf die Bühne zu stellen. Am Ende bekommt man das Gefühl, die Kinder nehmen das spielen als Spiel und nur die Erwachsenen haben ein Thema mit diesen existentiellen Themen. Großer erleichternder Applaus am Ende und viele intensive Bilder mit denen man nach Hause geht. Sophiensäle Berlin Sa 2. Juli 2016 um 19:30 h So 3. Juli 2016 um 19:30 h TOpublic Festival Oslo, Norwegen 7. und 8. Juli 2016 19 h Singapore International Festival of Arts, Victoria Theatre Singapur 18. bis 20. August 2016 um 20 h Münchner Kammerspiele, München 1. bis 3. Oktober 2016 Frascati Theater Amsterdam Fr 10 Februar 2017 um 20:30 h Sa 11 Februar 2017 um 20:30 h Sick Festival, Manchester Do 23 – Sa 25 März 2017

Raus

Ein Bauzaun versperrt den Blick auf die Bühne. Nach und nach bekommt der Zuschauer Einblick in das, was dahinter vor sich geht. Vierzig junge Berliner zwischen 13 und 19 Jahren singen, tanzen und spielen zum Thema »Raus«. Da geht es um Flüchtende, Freiheit, Grenzen, aber auch um Pubertät als Grenzerfahrung, erste Liebe, Mut und was es bedeutet anders zu sein. Mit viel Gespür für zarte Nuancen und große Gesten inszeniert Rachel Hameleers, die künstlerischen Leiterin der Kreuzberger »Academy«, diesen hinreißenden Abend. Sie brennen, diese Kids, und sie reißen mit, mit Ihrer Begeisterung und ihrem Talent. Eine Produktion, die man auf keinen Fall verpassen darf. Alte Feuerwache, Berlin Mi 22. Juni 2016, 19:30 h Do 23. Juni 2016, 19:30 h Fr 24. Juni 2016, 19:30 h Sa 25. Juni 2016, 16 h Restkarten an der Abendkasse Academy Casting Workshop Sa 17. September 2016, 12–16 Uhr oder So 18. September 2016, 12–16 Uhr

Deleted Scenes

Was macht eine Ballettausbildung aus einem Körper? Wie bestimmt die Erfindung von Ballett unsere Wahrnehmung? Sergiu Matis beginnt seine humorvolle Ausgrabungsarbeit 1661, mit der Gründung der Académie Royale de Danse in Paris. Gemeinsam mit Maria Walser und Corey Scott-Gilbert erkundet er verschüttete Bewegungen, die vielleicht wegen des dominanten Ballettvokabulars auf der Strecke blieben. Der Abend spekuliert und fabuliert über vermeintlich Gelöschtes. Stellenweise arbeiten sich die drei Tänzer an den Visionen sichtbar ab. Trotzdem baut die Performance mit ihrer klaren Struktur einen fazinierenden Spannungsbogen über 50 Minuten und man beginnt mehr und mehr zu entziffern. Ufer Studios, Berlin Sa 4. Juni 2016, 20:30 h So 5. Juni 2016, 20:30 h

Real Magic

Dieser Abend ist »Forced Entertainment«. Das Performance Kollektiv aus Sheffield macht seinem Namen alle Ehre. »Real Magic« bringt die großen Themen des Lebens auf den Punkt: Veränderung, Wandel, Umbruch. Und die Einschränkungen, die wir uns selbst auferlegen. Eine Metapher für Wegschauen, Grenzenschließen, Brexit. Die Versuchsanordnung von »Real Magic« bewegt sich zwischen Spielshow und Zaubervorführung. Gedanken sollen gelesen werden. Eine winzige Szene aus dem Cabaret, die wir am Ende 36 Mal gesehen haben. Die drei Spieler Claire Marshall, Jerry Killick und Richard Lowdon zelebrieren in der Tradition Becketts die Absurdität des Scheiterns. Eine Niederlage nach der anderen wird vorgeführt. Ein Kandidat wird vorgeführt. Rollenwechsel. Optimismus und Hoffnung bleiben bis zum Schluss. Und so ausweglos und unentrinnbar das Script, so sehr hofft man auf Erlösung. Eine pralle, rasend komische Show, bei der alle Beschreibungen scheitern müssen: Man muss »Real Magic« einfach sehen. Brillant. Hebbel am Ufer, HAU2, Berlin Fr 3. Juni 2016 um 20:30 h Sa 4. Juni 2016 um 20:00 h Show in English

John Gabriel Borkman

Es schneit zwei Stunden lang. Ohne Pause. Simon Stone übermalt Ibsen mit neuer heutiger Sprache. Da fallen Nuancen unter den Tisch, dafür wirkt die Neufassung direkter, schneller und greller. Storytelling ist dem Regisseur wichtiger als die 120 Jahre alte Original-Sprache. Plötzlich ist Borkmann ein Frauenstück. Martin Wuttke als Borkmann, Birgit Minichmayr als seine Frau und Caroline Peters als ihre Zwillingsschwester zaubern daraus exzellentes Schauspielertheater mit mehr Slap-Stick-Elementen und weniger Tragik. Man sieht ihnen gerne dabei zu, wie sie aus dem Vollen schöpfen. Fast geht man heiter aus diesem Abend. Burgtheater Wien, Akademietheater Termine für die neue Spielzeit folgen Theater Basel Termine für die neue Spielzeit folgen In einer Aufzeichnung zu sehen auf 3sat

18.05.2016

Schiff der Träume

Karin Beier baut einen Drei-Stunden-Abend wie ein Schiff. Er beginnt auf dem intellektuellen Oberdeck. Nah an Fellinis Film »Schiff der Träume«. Die geschlossene Gesellschaft der Orchestermitglieder probt »Human Rights Nr. 4«, das Opus ihres verstorbenen Dirigenten, auf dem Weg zu seiner Seebestattung in er Ägäis. Dann die zweite Hälfte des Abends: Veränderung. In Seenot geratene Refugees werden gerettet und aufgenommen. Aber die »Geretteten« nehmen nicht, sie geben. Sie bringen Heil, Humor und Verjüngungsgene für unsere überalterten mitteleuropäischen Gesellschaften. Das proklamieren sie herrlich ironisch, rasant, farbig und bewegend. Ihr »Schwarzen Humor« überrascht und stellt manches auf den Kopf. Trotzdem meint die Oberdeckgesellschaft: Das Boot sei voll. Die drögen weißen Herrenmenschen kommen mit den aufregenden schwarzen Afrikanern nicht wirklich zusammen. Und der Abend nicht wirklich mit seinen Ansprüchen. Deutsches Theater Hamburg Sa 28. Mai 2016 um 19:30 h So 19. Juni 2016 um 18:00 h

Manifesto

Cate Blanchett ist eine Wucht. Allein für sie lohnt sich die Filminstallation »Manifesto«. Julian Rosefeldt inszeniert 12 filmische Episoden zu 12 großen Strömungen der Kunst des 20. Jahrhunderts: vom Futurismus über DADA, Minimal Art bis hin zu Dogma. Er montiert unzählige Originalzitate aus Manifestos von rund 70 männlichen Autoren, wie Rodtschenko, Kandinsky, Schwitters, John Cage oder Werner Herzog, die die textliche Grundlage der Filme bildet. In hollywood-reifer Perfektion und klar definierter Ästhetik erlebt man Cate Blanchett als weibliche Protagonistin in diesen 12 Szenen ihre Sogkraft entwickeln. Sie leiht ihre Stimme und ihren Körper und das erzeugt zwischen Bild- und Textebene ein flirrendes Spannungsfeld aus kritischer Distanz und ironischer Überhöhung – in Figuren wie einer Grundschullehrerin, einer Puppenspielerin, einer Brokerin, einer Trauerrednerin und einer Obdachlosen. Absolut sehenswert. Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin Bis 10. Juli 2016 Ruhrtriennale, Kraftzentrale Duisburg 13. August bis 24. September 2016 Di–So: 13.00–20.00 Uhr Die Fernsehpremiere wird im Bayerischen Fernsehen sein.
Villa Stuck, München 16. Februar – 21. Mai 2017 Di–So 11–18 h, erster Freitag im Monat bis 22 h

Erwin Wurm: Bei Mutti

Was ist Humor, fragt sich dieser Tage nicht nur Jan Böhmermann. »Humor ist eine Waffe«, hat Erwin Wurm einmal gesagt. Und er weiß sie kunstvoll zu führen. Die Berlinische Galerie zeigt rund 80 Arbeiten des österreichischen Künstlers: vom »Narrow House« über die »One Minute Sculptures«, Zeichnungen, bis hin zu neuen Skulpturen, die in jüngster Zeit entstanden. Für Erwin Wurm ist Körperlichkeit zentral – die sich zwischen Skulptur, Objekt und Performance bewegt. Sie läd ein, zu interagieren, Spaß zu haben, zu Lachen, obgleich es um große Themen geht, wie Liebe, Alter oder Tod. Mit klugem Humor deckt er Doppelmoral und Lächerlichkeit auf. Und stellt die Welt auf den Kopf : »Von Konfektionsgröße 50 zu 54 in acht Tagen«. Er versteht Zu- und Abnehmen als Bildhauerei. Berlinische Galerie bis 22.08.2016 Mittwoch–Montag 10 –18 h Dienstag geschlossen

Mitleid. Die Geschichte des Maschinegewehrs

Flüchtlinge kommen zu uns und bringen ihre Geschichte mit. Scheinbar hat es diese massive Migrationsbewegung gebraucht, bis Europa aufhorchte und begriff, was in Syrien passiert. Milo Raus Inszenierung thematisiert die Arroganz der Berichterstattung und die Arroganz des Helfens. Ursina Lardis Kunstfigur berichtet als Ich-Erzählerin von ihren »Erfahrungen« als Helferin. Die Texte speisen sich aus Interviews mit NGO-Mitarbeitern, Geistlichen und Kriegsopfern in Afrika und Europa. Nahe kommt einem das nicht. Und vielleicht soll es das auch nicht. Ursina Lardi spielt eine Schauspielerin, die eine Schauspielerin spielt, die einen Text vorträgt. Milo Rau konfrontiert die Erwartung des Zuschauers mitzuleiden oder sich einzufühlen mit kühler Arroganz. Inhaltlich hält der Abend eher denen den Spiegel vor, die vermutlich nicht ins Theater gehen. Für die Anwesenden aber ist die kolonial und globale Kapitalismuskritik in weiten Strecken absehbar und wenig überraschend. Am Ende bleib auch ein Geschmack von »gut gemeint«. Milo Rau hat erheblich Grundsätzlicheres auf die Bühne gebracht – wie etwa mit Hate Radio. Schaubühne, Berlin Do 31.März 2016 bis So 3.April 2016 So 10. und Mo 11. April 2016 Weitere Termine im Mai: 15.,18.,19.,,20., 26., 27., 28., 31. Mai 2016

(Golden Hours) As you like it

»How can moments go so slow?«, singt Brian Eno und dazu bewegen sich elf Tänzer in Zeitlupe. Man merkt wie erstaunlich Enos Nummer »Golden Hours« zu Anne Teresa De Keersmaekers Stil passt. Nach dem Intro entwickelt sich »(Golden Hours) As you like it« dann zu einem Handlungsballett des 18. Jahrhundert, mit Anleihen aus dem Ausdruckstanz. Performt wird Shakespeares Komödie »Wie es euch gefällt« (1599), sporadisch begleitet von Brian Enos Album »Another Green World« (1975) und eingeblendeten Dialogzitaten. Die elf fabelhaften Tänzer illustrieren ausdrucksvoll und körperlich als sprächen sie die Dialoge innerlich. Für die Liebestollheit von Shakespeares Komödie interessiert sich De Keersmaeker aber nicht. Mit formaler Strenge gestaltet sie das Spiel um Sein und Schein, Liebe und Geschlecht, Identität und Freiheit. Ironische Noten sind spärlich. Und so bleibt Shakespeares Komödie eine kühle Interpretation – trotz der Verve und des Esprits der jungen Rosas Tanzcompany. cultuurcentrum Hasselt, Belgien Di 12. April 2016 STUK Kunstencentrum Leuven, Belgien Fr 15. und Sa 16. April 2016 La Filature Mulhouse, Fankreich Di 19. April 2016 Opéra de Lille, Frankreich Di 26. und Mi 27. April 2016 Ruhrtriennale, Bochum Do 22 bis Sa 24. September 2016 weitere Termine

Borgen

»Kann ich politisch erfolgreich sein und ich selbst bleiben?«, fragen chorisch immer wieder die vier Schauspieler. Nicolas Stemann dampft die 30 Stunden der Erfolgsfernsehserie »Borgen«, um die idealistische dänische Premierministerin Birgitte Nyborg, auf knapp vier Stunden ein. Statt Textzettel gibt es passend Teleprompter über den Köpfen der Zuschauer. Stemann hält sich streckenweise wörtlich an die Dialoge der Originalvorlage, doch scheint der Regisseur dem Zuschauer eher den Glauben an Politik und Demokratie nehmen zu wollen und liefert dazu einen kritischen Blick auf die Serie. Die Reduzierung des Umfangs produziert manchmal komische Momente der Überzeichnung, oft aber eine holzschnittartige Verflachung. Einblicke und Einsichten, wie Politik gemacht wird und dass es sich auch um ein Handwerk handelt, wie man zu einer Lösung kommt, bleiben auf der Strecke. Die Entzauberung der Figuren und der Politik an sich scheint gewollt: Kommentierende Sidekicks und Kapitalismuskritik sind zwar lustig, bleiben aber im Vergleich zur aktuellen politische Lage eher harmlos. Die Schauspieler machen allesamt einen phantastischen Job und man sieht ihnen, trotz der Längen, gerne dabei zu, wie sie spielend in die 40 verschiedenen Rollen schlüpfen. Schaubühne, Berlin Mo 15. Februar 2016 Di 16. Februar 2016 Mi 17. Februar 2016 So 6. März 2016 Mo 7. März 2016 Di 8. März 2016 Sa 30. April 2016 So 1. Mai 2016

Lohengrin

Eine Feder fällt vom Himmel: Elsa entgegen. Nicola Raab inszeniert den sagenhaften Stoff des Lohengrin atmosphärisch dicht und beweist einmal mehr, dass sie zu den Geschichtenerzählern unter den Regisseure gehört. Im kongenialen Zusammenspiel von Story-Telling, Bühnenbild, Kostüm- und Licht Design entsteht ein klarer und vielschichtiger Opernabend, ein Abend der großen Bilder – und leisen Töne. Gemeinsam mit Lohengrin, hofft man, könnte man die Begrenztheit des Menschseins überwinden: mit der großen Liebe. Die fein ausgearbeiteten Charaktere der Figuren legen die transzendenten Aspekte der Geschichte frei: überragend singend und spielend Steven Humes als Heinrich. Unter der musikalischen Leitung von Alexander Vedernikov erlebt man höchsten Hörgenuss. Ein großer Wurf. Oper Kopenhagen Do 28. Januar 2016 So 31. Januar 2016 So 7. Februar 2016 Fr 12. Februar 2016 Di 1. März 2016 So 6. März 2016 Mi 9. März 2016 So 13. März 2016

David Bowie

»I don’t know where I’m going from here, but I promise it won’t be boring.«

Mein Kampf

Heute erscheint die 2000 Seiten starke kommentierte Ausgabe von Adolf Hitlers »Mein Kampf«. Die vom Freistaat Bayern verwalteten Urheberrechte laufen aus. Und Rimini Protokoll haben darüber pflichtgemäß ein Stück gemacht: mit sechs Menschen und ihren Geschichten mit dem Buch. Wer sich bei einem solchen Thema Brisanz auf der Bühne erwartet, wird enttäuscht werden. Es wird viel politisch Korrektes verhandelt. Manchmal zum Schmunzeln und durchaus unterhaltend, aber Spannung kommt in den 2 Stunden und 15 Minuten nicht auf. Bereichernde Perspektiven liefern Alon Kraus und der Rapper Volkan. Das hätte man sich mehr gewünscht. Trotzdem ein wichtiger Abend zur politische Bildung. Hebbel am Ufer Berlin Fr 8. Januar 2016 Sa 9. Januar 2016 So 10. Januar 2016 jeweils 20 h HAU 1 Kammerspiele München, Kammer 1 Fr 29. Januar 2016 So 31. Januar 2016 Schauspiel Leipzig Mi 17.Februar 2016 Do 18. Februar 2016 Schauspiel Dresden Mi 23. März 2016 Do 24. März 2016 Onassis Cultural Center, Athen Do 21. April 2016 Fr 22. April 2016 Sa 23. April 2016

Peter Pan

Staunen, Kreischen, Tanzen. Das Publikum sitzt nicht still. Egal ob Groß oder Klein. Der Junge, der nicht erwachsen werden will, entzückt nicht nur die Kinder. In der kongenialen Zusammenarbeit von Regisseur Michael Lippold und den Musikern von »The bianca Story« gelingt eine abenteuerlustige Inszenierung. Die Schauspieler machen einen phantastischen Job und es ist eine Freude ihnen zuzusehen. So entsteht schon nach wenigen Szenen eine Sogkraft, die in der Flugszene ihren Höhepunkt findet. Hier wird das Weihnachtsmärchen zum sphärenhaften Rockkonzert und man möchte, dass sie ewig weiter fliegen. »The bianca Story« liefert eine Menge Input mit den hitverdächtigen Songs, eigens entwickelt und komponiert für dieses Stück. Anders als in der Vorlage von J.M. Barrie, lässt Lippold das Ende offen, und doch singt die Band: Hope there is Hope … Also schnell auf nach Bern. Konzert Theater Bern, Stadttheater Bern Mon 28. Dezember 2015, 15 und 19:30 h Sa 2. Januar 2016 um 15 h So 3. Januar 2016, 15 h So 10. Januar 2016, 8 h Mi 17. Februar 2016, 19:30 h

Mein Mali

Musik, Klänge, Geräusche und Atmosphären als wäre man in Mali. Die Hörspielfassung von »Mein Mali« bringt mit Stimmung und Dichte das echte Leben in Mali ganz nah heran. Lou Rodrian spricht Ombo, ein Mädchen aus dem Dorf Nombo in Westafrika, das gerne wieder zur Schule gehen möchte. Wäre das Dach ihres Klassenzimmers nicht bei einem Unwetter zerstört worden, würde sie das auch. Aber jetzt muss sie sich erstmal auf eine Reise begeben. Gemeinsam mit ihren Eltern überquert sie den Niger und begegnet Tuareg und kommt schließlich in Timbuktu an. Ein lehrreiches Stück Kinderliteratur von Mirjam Knickriem mit Musik von fischer, alias Jens Fischer. Auch die übrigen Rollen sind hochkarätig besetzt: Katja Riemann, Barbara Auer und Sebastian Blomberg lesen. 6 Euro von jeder verkauften CD gehen als Spende an die Welthungerhilfe für mobile Schulen in Mali. Das perfekte Weihnachtsgeschenk.

La Passion de Simone

Nach den beiden eindrucksvollen Passionen von Bach hat Peter Sellars, Artist in Residence, nun Kaija Saariahos »La Passion de Simone« in Szene gesetzt. Die Passion zeichnet einen musikalischen »Kreuzweg« der Sozialrevolutionärin Simone Weil in 15 Stationen nach. Sellars inszeniert Weils Asketentum und ihre Suche nach Wahrheit weniger als Musiktheater denn als szenisch minimalistische Einrichtung. Julia Bullock charaktervoller Sopran bewegt sich natürlich durch die atmosphärischen Klangflächen des Oratoriums für Solosopran, Chor und Orchester. Die Vielschichtigkeit und Transzendenz eines nur 34jährigen Lebens sind in dem 75-Minuten-Werk eher musikalisch eingefangen, denn inszenatorisch. Der Abend weckt Interesse, sich mit der wichtigen politischen Aktivistin zu beschäftigen. Berliner Philharmoniker in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin Do 26. November 2015 um 20 Uhr

Testament

Dass man Shakespeares King Lear derart demontieren kann und dabei nah und dicht erzählen kann, das haben She She Pop bewiesen, als sie im Februar 2010 mit Testament herauskamen. Nie ist man näher zum Kern der Sache vorgedrungen, nie hat man die Vater-Tocher-Beziehung besser verstanden. Und wurde dabei besser unterhalten: man lacht und weint und tanzt mit den Spielern auf der Bühne. Durchlebt verstörende Momente, in denen alle Hüllen fallen und nur das übrig bleibt, was vielleicht bleibt, wenn eine Generation geht und eine andere zurück lässt. Jetzt ringen She She Pop und ihre Väter noch einmal um Liebe, Anerkennung und Annahme. Zum letzten Mal ist ihre Lear-Adaption in Berlin und in München zu sehen. Dringend empfohlen. Hebbel am Ufer, HAU 2, Berlin Di 24. November 2015 Do 26. November 2015 Sa 28. November 2015 So 29. November jeweils 20 h Restkarten an der Abendkasse Kammerspiele München Fr 18. Dezember 2015 Sa 19. Dezember 2015

Nederlands Dans Theater

Sehnsuchtsvolle Töne von Max Richter begleiten das Stück »Stop-Motion« von Sol León und Paul Lightfoot. Sieben Tänzer erzählen von Abschied und Transformation und bauen das dritte Stück des Abends langsam und mit großer Intensität zu einem Magnum Opus, dem man noch Stunden zusehen könnte. Prince Credell und Roger Van der Poel machen ihr Pas de deux zum Höhepunkt des Abends – träumen, lassen los, verändern und knüpfen damit an die Ära Jiří Kylián an, der das NDT zum Weltruhm führte. Nach 15 Jahren ist die Company nun endlich wieder in Berlin zu sehen. Am Premierenabend stehende Ovationen. Haus der Berliner Festspiele Berlin Do 29. bis Sa 31. Oktober 2015, jeweils 20 h Festspielhaus Baden Baden 9. und 10. April 2016 New York City Center 16. bis 19. November 2016

29.10.2015

Wintersonnenwende

Ein Mann, eine Frau, nicht mehr ganz jung, noch nicht alt, der Abend vor Weihnachten, sie streiten. Es geht um die angekommene Schwiegermutter, aber eigentlich wird nichts wirklich verhandelt, man weist sich zurecht. Hätte Yasmina Reza und nicht Roland Schimmelpfennig das Stück geschrieben, würde es an der Kömodie am Kurfürstendamm aufgeführt und dann wäre der Bekannte der Mutter sicher kein national tönender Arzt aus Paraguay. Seine unwirklichen Einwürfe überraschen aber wenig und gewendet wird hier auch nichts. Jan Bosse inszeniert eine gestelzte Künstlichkeit, wie man sie zweifellos in vielen Haushalten am 23. Dezember finden wird. Die Lebendigkeit ist dahin. Der »Clash of Cultures« zwischen dem linksintellektuellen Hausherren und dem herein geschneiten faschistischen Musikliebhaber ist so spannend wie der Weihnachtsbaum: unecht, abwaschbar und immergrün. Deutsches Theater, Berlin Sa 24. Oktober 2015 Di 27. Oktober 2015 So 8. November 2015 Do 12. November 2015 Fr 27. November 2015

Aerobics

Schwarze Bühne, keine Musik, nur Atem und Bewegung. Drei Akte lang. Paula Rosolen hat mit sieben Tänzerinnen und Tänzern eine Dekonstruktion von Aerobics versucht. Tatsächlich entsteht aus dem Vorführen des aerobischen Bewegungsvokabulars eine Art Ballett und man beginnt darüber zu grübeln, was Ballett eigentlich ist. Die stärksten Momente die Abends gelingen in den Pas de deuxs, in denen sich ein tänzerischer Dialog entspinnt. Der Abend hat Witz und Verstand, und doch hätte man sich mehr dramaturgische Komposition und Distanz zum Originalmaterial gewünscht. Jane Fonda hat Aerobics zum Welterfolg gemacht. Ohne sie wüsste heute wohl keiner um dieses Fitness Programm, das einst für die US Air Force entwickelt wurde. Sophiensäle, Berlin So 4. Oktober 2015 Mousonturm, Frankfurt Do 22. Oktober 2015 Fr 23. Oktober 2015 Sa 24. Oktober, jeweils 20 h Kondenz-Festival, Belgrad Mo 26. Oktober 2015

Orfeo

Susanne Kennedy, Suzan Boogaerdt und Bianca van der Schoot nennen ihre performative Installation eine Sterbeübung nach Claudio Monteverdi. Der Besucher bewegt sich in einer Versuchsanordnung und durchquert in abgezirkelten Zeitfenstern sieben beklemmende Räumen in denen man einem knappen Duzend Euridikes begegnet, alle maskiert mit dem gleichen »resting bitch face« und Blondie Perücke. Das Solistenensemble Kaleidoskop darf auf weiß getünchten Instrumenten Versatzstücke von Monteverdis Oper vorspielen, und auch wenn Hubert Wild einem den Orpheus singt, bleibt am Ende vor allem eines: die Sehnsucht nach Musik. Martin Gropius Bau, Berlin Mi 30.9.2015 bis So 4.10.2015, jeweils 10 bis 19 h

Münchhausen

Ein Hut, ein Stock, ein Regenschirm: Milan Peschel wartet auf Münchhausen. Und das macht er mit Vergnügen – er hat die ganze Bühne für sich. Fabuliert und kalauert über sich als Figur, über Eitelkeit, Theater und das chronische Hochstaplergefühl. Armin Petras wird mit diesem Monolog wohl nicht in die Theateranalen eingehen, aber Jan Bosse inszeniert doch einen konsequenten Showdown mit vielen aberwitzigen Anspielungen. Der Abend strotzt vor Zitaten und man begegnet unter anderen dem Grafen Wronski, den Peschel vor ein paar Jahren in Jan Bosses Anna Karenina-Inszenierung spielte. Der kaugummikauende Frank Castorf kommt vor, Martin Kippenberger und Woody Allen. »Die Ewigkeit dauert lange, besonders zum Ende hin«, zitiert Peschel. Das Zitat sitzt. Deutsches Theater Berlin So 11. Oktober 2015, um 18 h Fr 16. Oktober 2015, um 20 h Do 29. Oktober 2015, um 20 h

Black Mountain College

Das Black Mountain College startete 1933 als interdisziplinäres Experiment und wurde als Bauhaus Nachfolger legendär. Zahlreiche emigrierte Bauhaus Lehrer, wie Anni und Josef Albers, Alexander Xanti Schawinsky und Walter Gropius trugen die Idee des interdisziplinären Arbeitens und Lehrens in North Carolina weiter. Gemeinsam mit den amerikanische Kollegen Richard Buckminster Fuller, John Cage und Merce Cunningham machten sie das Art College zu einem der progressivsten und einflussreichsten Ausbildungsstätten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert. Zum ersten mal in Deutschland gibt es nun eine umfangreiche Ausstellung über das Black Mountain College im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin: mit Bildmaterial, Kunst, Fotos, Studentenprojekten und spannenden Interviews mit Zeitzeugen, die auch online abrufbar sind; wie mit Ati Gropius, Lisa Jalowetz-Aronson oder Pete Jennerjahn, Hamburger Bahnhof, Berlin Di bis So 10–18 h Do bis 20 h noch bis 27.9.2015

Gastfreundschaft

»Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.«
Johann Wolfgang von Goethe

Westöstlicher Divan

In der Musik sind alle gleich. Das West-Eastern Divan Orchestra bringt 105 junge arabische und israelische Musiker zusammen und trotz damit den politischen Gräben im Mittleren Osten: ein Statement für ein friedliches Zusammenleben der Völker. Es gibt jetzt auch syrische Flüchtlinge im Orchester. Daniel Barenboim setzt politische Zeichen, sieht aber in seinem Projekt vor allem eine Schule des aufeinander Hörens. Dem spritzigen jungen Orchesterklang hört man das gegenseitige Zuhören an. Nach drei Konzerten bei den Salzburger Festspielen kommt das Orchester nach Berlin, wo 22.000 Zuhörer in der Waldbühne in Berlin erwartet werden. Es gibt Werke von Pierre Boulez, Richard Wagner, Béla Bartók, Piotr Tchaikovsky und Arnold Schönberg. Waldbühnenkonzert 2015, Berlin Sa 15. August 2015 Es gibt noch Karten. Lucerne Festival, Luzern So 16 Aug 2015 Mo 17. August 2015 Royal Albert Hall, London Di 18. August 2015

Bayreuther Festspiele

»Das älteste, echteste und schönste Organ der Musik, das Organ, dem unsere Musik allein ihr Dasein verdankt, ist die menschliche Stimme.« Richard Wagner

Tino Sehgal

Eine große Werkschau im Martin-Gropius-Bau – und es gibt keine Fotos, kein Plakat, keinen Katalog. Das ist Konzept. Man muss kommen und selbst erfahren, was hier passiert. Es wird gesungen, gesummt, geredet, getanzt, geküsst, das Museum wird zur Bühne, der Betrachter zum Mittäter und was man erlebt, bewegt sich irgendwo zwischen Tanzperformance und Aktionskunst. Präsentiert werden fünf Werke, unter anderem »This Variation« von der Documenta 2012, bei dem die Performer mächtig aufmischen. William Forsythe sagte einmal zu seinem Eleven Tino Seghal, er hätte die Tanzwelt nicht verlassen, er hätte sie erweitert. Das tut Sehgal auch mit seiner walking installation namens »This Progress«, die gerade im Haus der Berliner Festspiele gezeigt wird. Der Rundgang beginnt mit einer Frage, die einem ein Kind stellt: Was ist Fortschritt? Je nachdem was man antwortet, wird dieses Gespräch weitergeführt von Teenagern, Erwachsenen und Senioren. Das machte Sehgal schon im Guggenheim in New York und auf der Agora in Athen. Beides große Kunst und unbedingtes Muss für diesen Kultursommer. Werkschau Martin-Gropius-Bau, Berlin 28.6.bis 8.8.2015 Mi–Mo 10 bis 19 h »This Progress« Foreign Affairs – International Performing Arts Festival Haus der Berliner Festspiele, Berlin 25.6. bis 5.7.2015, jeweils von 17 bis 21 Uhr

Das Kongo Tribunal

Wir sind alle Spieler in diesem Theatergerichtssaal. Es geht um »Wahrheit und Gerechtigkeit«, so steht es auf den Transparenten, die schon im ersten Teil (Bukavu Hearings) im Kongo gehangen haben. Milo Rau und sein Team vom International Institute of Political Murder haben eine prominente Geschworenen-Jury in Berlin versammelt: Wolfgang Kaleck, Saran Kaba Jones, Harald Welzer, Antoine-Marc Vumilia Muhindo, Colette Braeckmann und Saskia Sassen. Mit den beiden Strafrechtlern, die am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag als Anwalt gegen kongolesische Milizenführer tätig sind, bekommen die Hearings beeindruckende Strahlkraft und beklemmende Deutlichkeit. Wie dem historischen Vorbild ist den Berlin Hearings ein großes Echo und politische Wirksamkeit zu wünschen. Es gibt einen Liveticker und am Ende das Urteil zum Nachlesen. Sophiensäle Berlin Sa 27. Juni 2015 12–15 h 17–20 h So 28. Juni 2015 14–20 h

Table Top Shakespeare

Ein Tisch, ein Schauspieler, ein Drama. Forced Entertainment erzählt alle 36 Dramen von William Shakespeare im Taschenformat. In jeweils 50 Minuten, zu jeder vollen Stunde je eines, täglich vier, neun Tage lang – auf dem Foreign Affairs Festival. Die Figuren von Shakespeares Stücken treten als Pfeffermühle auf, als Bierflasche, Zahnpastatube, Salzstreuer. Ein Schauspieler erzählt uns was bei Macbeth passiert, oder bei der Widerspenstigen Zähmung. Aus der Verdichtung der Dichtung entsteht eine konzentrierte und intime Atmosphäre und man lauscht der Erzähler Stimme als säße man auf Großmutters Schoß beim Märchenhören. Großes Kino. Es gibt noch Karten. Und vor allem gibt es alle Vorstellungen im Live-Stream Berliner Festspiele, Berlin Täglich bis Sa 4.7.2015 18 – 21 h zu jeder vollen Stunde

Gala

Was hier geschieht grenzt an ein Wunder. Jérôme Bel versammelt knapp 20 Menschen auf der Bühne: Frauen, Männer, Kinder, Teenager, Rentner, Transgender, Menschen im Rollstuhl, mit Downsyndrom, Profitänzer, Schauspieler, Laien. In allen Farben und Formen, so divers, dass es eine Freude ist. Er schafft einen Raum, in dem sie sich frei und voller Würde bewegen, als hätten sie nie etwas anderes getan. Sie zeigen uns ihre Version von Pirouette, Grand Jete, Walzer, Moonwalk, Verbeugung. Wir lieben jeden Einzelnen und jede einzelne Ausführung – je weiter entfernt von der Perfektion, desto spannender. Plötzlich sind die Amateure fesselnder als die Forsythe Tänzer. Warum bewegen wir uns? Und was ist Tanz? Der Abend entwirft eine Gegenposition zu Repräsentation, Imitation, Stereotyp. »Gala« ist große Konzeptkunst. Eine Hymne der Menschlichkeit. Jérôme Bel feiert den Unterschied und schafft eine Ensembleleitung aus einzigartigen, originären und authentischen Wesen. Langer Applaus. Hebbel am Ufer, Berlin Do 25.06.2015, 20 h, HAU1 Restkarten an der Abendkasse Tanzhaus, Düsseldorf Do 27. August 2015 Fr 28. August 2015 Festival Automne, Paris 17. September bis 5. Dezember 2015 u.a. Théâtre de la Ville Mo 30. November bis Mi 2. Dezember 2015 Tanzquartier Wien Di 12.–15. Januar 2016 Hebbel am Ufer, Berlin Fr 15. Januar 2016 Sa 16. Januar 2016 Kammerspiele München Di 9. und 10. Februar 2016 Montpellier CDN Di 15. und 16. März 2016 Hebbel am Ufer, Berlin Do 5. bis So 8. Mai 2016 Hebbel am Ufer, Berlin Sa 17. September 2016 Kampnagel, Hamburg Do 6. Oktober 2016 Fr 7. Oktober 2016 Sa 8. Oktober 2016 jeweils 20 h Mousonturm, Frankfurt Di 8. und Mi 9. November 2016 um 19:30 h Theater Freiburg Do 25. Mai 2017 um 19:30 h Hebbel am Ufer, Berlin Mi 5. April 2017 Do 6. April 2017 Mi 12. April 2017 Do 13. April 2017

Das schweigende Mädchen

Ein schauriges Jüngstes Gericht macht Elfriede Jelinek aus dem NSU-Prozess. Johan Simons reduziert die Polemik auf 40 Seiten und lässt sie von acht Schauspielern verlesen, als wären es die Prozessprotokolle selbst. Den Toten gedenkend sitzen da Engel, Propheten, Jungfrauen, Jesusfiguren und erörtern das Nichtwissen, das Wissen-Wollen und das Verstehen. Die Produktion der Münchner Kammerspielen war bei den Autoren Theatertagen am Deutschen Theater Berlin zu Gast und wird noch ein letztes mal in München zu sehen sein. Derniere Münchner Kammerspiele, München Sa 11.07.2015

Victoria

Eine Kamera, ein Take. Kein Schnitt, keine künstlichen Effekte, kein Fake. 140 Minuten großes Kino, wie es authentischer nicht sein könnte: direkt, dreckig, atmend, ungehobelt und ohne Rücksicht auf Verluste. Ein echter Berlin-Film. Der Plot ist nicht immer ganz schlüssig und das macht ihn vielleicht gerade so glaubhaft. Eine spanische Klavierbegabung zieht mit ein paar angetrunkenen Jungs um die Häuser bis sie in ihre Geschichten verwickelt wird. Klingt banal, aber »dieser Film handelt im Tiefsten von Solidarität und dem bedingungslosen Zusammenhalt junger Leute,« sagt der Regisseur Sebastian Schipper. Wir als Zuschauer erleben den Lauf der Dinge in Echtzeit und kommen dabei den Figuren ganz nah. Das Zusammenspiel der fünf Protagonisten entwickelt eine Sogkraft und wir, die Betrachter, werden unmerklich zu Komplizen. Der Film ist vor allem eine herausragende Ensembleleitung: Laia Costa, Frederick Lau, Franz Rogowski. Man glaubt ihnen alles. Auf der Berlinale 2015 gab es für den norwegischen Kameramann Sturla Brandth Grøvlen den Silbernen Bären. Beim Deutschen Filmpreis wird Victoria mit sechs Lolas ausgezeichnet. Der Film des Jahres. Kinostart: 11. Juni 2015 In Berlin Hackische Höfe Kino

Giulio Cesare in Egitto

Der Titel täuscht: Eigentlich ist Cleopatra die zentrale Figur von Händels arienreicher Oper und nicht Cäsar. An der Komischen Oper Berlin hat das Frauen-Regie-Team um Lydia Steier eine Inszenierung gesponnen, die die Königin von Ägypten als treibende Kraft zeigt – die taktiert und kalkuliert, umgarnt und sich verliebt. Selbständig, selbstbewusst und gleichberechtigt, wie es Frauen im antiken Ägypten waren. Die antike Handlung aber wurde verlegt in die musikalische Heimat der Oper: ins Barock. Gelage und Orgien zeichnet die Regisseurin mit wuchtigen Bildern in Sälen mit aufgebrochener Decke und blätternder Farbe. Das Barocke wird immer wieder kontrastiert mit zeitfremdem Kitsch, Abu Ghraib Folter, einem Römischen Streitwagen. Warum Tolomeos Harem, der aus lauter Cleopatras besteht, auf vergoldeten Thonet Stühlen tanzt, wüsste man gern. Präzise und zugleich weich macht Konrad Junghänel, als musikalischer Leiter, Händels Einfallsreichtum hörbar und sichtbar. Valentina Farcas strahlt als sinnliche Cleopatra. Statt eines Kastraten hören wir Bariton Dominik Köninger als männlich markanten Cäsar. Und so gelingt dem hauseigenen Ensemble musikalisch wie darstellerisch ein stellenweise schlüssiger Abend. Komische Oper Berlin Juni 2015: Do, 11., So, 14., Sa, 27. Juli 2015: Sa, 4., Do, 9. September 2015: Fr, 11., Sa, 19., Sa, 26. Oktober 2015: So, 4., Sa, 31.

Hausbesuch Europa

Wer ist Europa, fragen und hinterfragen Rimini Protokoll in ihrer neuesten Produktion »Hausbesuch« Europa«. Zur verabredeten Zeit finden sich 15 Unbekannte in einer Privatwohnung ein und versammeln sich um den großen Wohnzimmertisch. Darauf eine mit europäischen Länderumrissen bemalte Papiertischdecke. Jeder malt ein Dreieck aus Geburtsort, Sehnsuchtsort und Auslandsaufenthaltsort. Es gibt an diesem Abend keine Zuschauer – nur Mitwirkende. Rimini Protokoll hat ein vergnügliches Gesellschaftsspiel zusammen gebastelt: Ein kleine blinkende Maschine wird von einem Spieler zum nächsten bewegst. Auf Knopfdruck spuckt sie Fragen aus: Wer kann von seiner Arbeit leben? Wer hat Angst vor der Zukunft? Wie sehr vertraust du den Anwesenden? Am Ende des Abends ergeben die erlebten Puzzelteile kein Bild von Europa, eher eine vage Ahnung: Wie viel oder wenig kennt man seine Nachbarn? Wie viel engagieren sich Menschen? Wie viel Europa sind wir? In Berlin wird die immer gleiche Spielanordnung in 80 verschiedenen Wohnungen gegeben. Hausbesuch Europa bietet eine spannende Begegnung mit dem Gegenteil von Durchschnitt und Repräsentanz. Ganz privat, ganz nah und doch nicht unpolitisch. Hebbel am Ufer, Berlin (Spielorte unterschiedlich) Restkarten unter Tel. +49 (0)30.259004 -27 6. bis 22. Mai 2015, täglich 17 und 21 h Bergen International Festival, Bergen 31. Mai bis 9. Juni 2015 Malta Festival, Malta 15. bis 26. Juni 2015 Theaterformen, Hannover 3. bis 12. Juli 2015 Sort/Hvid, Kopenhagen 15. bis 27. September 2015 Weitere Spielorte Toulouse, Amsterdam, Prag.

Platonow

Die neun Spieler stehen an der Rampe und schauen ins Licht – in messianischer Erwartung von Platonow. Die gut anderthalb Stunden spielen sie hinein in diesen Raum, wartend, hoffend, in den Augen eine unstillbare Sehsucht nach Verbindung. Untermalt und umspielt wird die sonst leere Bühne von Jens Thomas mit Flügel und Stimme. Luk Perceval und sein Ensemble vom NTGent findet einen unszenischen, aber hochdramatischen Zugriff auf den Stoff von Tschechow. Unvergleichlich präzise und mit radikaler Klarheit legen sie den Kern des Stückes frei. Der Mensch will viel mehr lieben, als er vermag. Daran scheitern letztlich alle Figuren. »Muss denn jede Liebe auf die gleiche Weise geliebt werden?«, fragt Platonow. Ein großer Wurf mit wohltuender Gradlinigkeit. Absolut sehenswert. Hebbel am Ufer, HAU1 Berlin Mi 29.4.2015 um 20 h

Siegfried

In Wagners musikalisch schwierigstem Stück brilliert das Gewandhausorchester Leipzig in Bestform. Den Mythos um den märchenhaften Held erzählt Rosamund Gilmore tänzerisch mit hübsch bewegten Farnen und Waldvögelein. Vieles im nibelungen’schen Deutungsgebirge gerät ihr zur Dekoration in Puppenstubenformat. So bleibt Siegfrieds zentrale Transformation vom Jüngling zum Manne in den Kinderschuhen stecken. Die Sehnsucht nach Liebe kauft man dem Helden in Latzhosen nicht ab. Es gibt aber auch Bilder, die glücken, weil sie den Handlungsfaden schlüssig und dicht zum Schicksalsfaden der Figuren verweben. Die berührendste Szene des Fünf-Stunden-Epos gelingt Nicole Piccolomini und John Lundgren als Erda und Wanderer. Wotan wendet sich wehmütig an Erda, schließlich ratlos singt er seiner Ex-Geliebten zum Abschied: »träumend erschau’ mein Ende!« Es schwant ihm die Götterdämmerung. Oper Leipzig So 24. Mai 2015 Sa 30. Mai 2015 So 21. Februar 2016 Sa 7. Mai 2016 Fr 1. Juli 2016 So 12. März 2017  um 15 h Sa 25. März 2017  Sa 1. Juli 2017 jeweils um 17 h

The Civil Wars

Auf der Bühne passiert nicht viel: auf einem Podest ein Wohnzimmer, darin vier Menschen, darüber im close-up ihre Gesichter auf einer Filmleinwand. Man schaut wie durch einen Guckkasten in die Leben der vier belgischen und französischen Schauspieler. Die erzählen ihre ganz privaten Geschichten, fragen nach ihrem eigenen Glauben, ihrer politischen Überzeugung. Es ist Milo Raus persönlichstes Stück. Kein dokumentaristischer Zugriff, wie man ihn sonst vom »International Institute of Political Murder« kennt, keine großen Kriege, keine Völkermorde, es geht um die Kriege im kleinen, die Brutalisierung der Gesellschaft – hausgemachte Kriege. Der rote Faden der »home-made war zone« verliert sich im Laufe des Abends, man folgt den Spielern aber gebannt, weil sie einen ganz dicht heran lassen, an das was sie zu erzählen haben. The Civil Wars glückt vor allem, weil einem die Menschen nahe kommen, nicht unbedingt mit dem, was erzählt wird, sondern wie es erzählt wird. Schaubühne Berlin, im Rahmen von F.I.N.D. #15 Sa 18. April 2015 So 19. April 2015 Wiener Festwochen, brut im Künstlerhaus, Wien 13. – 15. Juni 2015 Grec Festival, Barcelona 23. bis 27. Juli 2015 Spielart Festival München 30. Oktober bis 1. November 2015

Courage

»Habt doch endlich einmal die Courage, euch den Eindrücken hinzugeben, euch ergötzen zu lassen, euch rühren zu lassen, euch erheben zu lassen, ja euch belehren und entflammen zu lassen.« Johann Wolfgang von Goethe

Ecce Ekzem Homo

Atmosphärisch bringen die Well Buben aus dem Biermoss den Abend zum klingen und die Zuschauer zum singen. Und mitten drin: Gerhard Polt. Der Monolith. Geschliffen scharf und ausschweifend klug. Verhandelt wird der Wert des Menschen und die Menschlichkeit, Unmenschlich- und Unmöglichkeit der Nachbarschaft – im Besonderen mit Herrn Merki. Vom Lampedusa-Flüchling bis zum korrupten Landrat kommt alles vor: singend, jodelnd und schuhplattelnd in der Reihenhaussiedlung. Texte vom Feinsten, Musik von Hand gemacht und eine Spielfreude, die ansteckt. Der Abend tut den Kammerspielen sichtlich gut, nicht nur weil er zu 100% ausverkauft ist. Die meisten Zuschauer sitzen die zweieinhalb Stunden mit einem Dauergrinsen im Saal. So viel Spaß hat das Haus selten erlebt und wenn man für den Kult-Abend Karten haben will, muss man früh aufstehen und bereit sein dafür Schlange zu stehen. Aber, soviel sei verraten: eine Mühe, die sich lohnt. Münchner Kammerspiele Restkarten an der Abendkasse: Fr. 10. April 2015 So. 12. April Mi. 15. April Sa. 25. April Im Vorverkauf ab 16.4.: Sa. 09. Mai 2015 So. 10. Mai 2015 Mo. 18. Mai 2015 So. 24. Mai 2015

Common Ground

Common Ground ist nicht der kleinste gemeinsame Nenner, eher die größte gemeinsame Vielfalt, kein Betroffenheitstheater, obwohl alle 8 Spieler betroffen sind. Sie erzählen Versatzstücke aus ihrem Leben – von selbst erlebten Kriegswirren und einer gemeinsamen Bosnienreise –, verschnitten mit historischen Ereignissen des Jugoslawienkrieges. Das von Yael Ronen und den Schaupielern kollektiv erarbeitete Stück ist erfreulicherweise wirklich ein Stück: direkt, intensiv und dringlich. Eben keine wohlfeile Lecture Performance über Krieg, Schuld, Vergebung, Verdrängung, Vergessen. Es geht richtig zur Sache und so geht man ergriffen und bewegt aus dem Theater und fragt sich, wie sie das machen, selbst betroffen zu sein, die eigene Geschichte zu spielen, auf der Bühne gleichzeitig Figur wie Mensch zu sein. Es gelingt ihnen ein ergreifendes Plädoyer für Menschlichkeit und Frieden. Common Ground wurde zum Theatertreffen 2015 und zu den Mühlheimer Theatertagen eingeladen. Gorki Theater Berlin Do 7. Mai 2015 Fr 8. Mai 2015 Fr 15. Mai 2015 Fr 12. Juni 2015 Sa 27. Juni 2015 So 28. Juni 2015, jeweils 19:30 h Mülheimer Theatertage So 31. Mai 2015 Schillertage, Mannheim Mo 15. Juni 2015

A Flowering Tree

Die zeitgenössische Oper von John Adams erlebte gerade ihre blühende Skandinavien Premiere. Mit opulenter Reduziertheit und traumwandlerischer Unmittelbarkeit inszeniert Nicola Raab das indische Märchen zu einem Gesamtkunstwerk. Vom ersten Moment entfaltet sich der Abend mit großer Selbstverständlichkeit als Musik-Tanz-Theater in grandiosen Bildern. Die Liebesgeschichte, die mit ihren Prüfungen an die Zauberflöte erinnert, wird von nur drei Sängern erzählt und berührt in ihrer Einfachheit. Ein unspektakuläres Spektakel höchster Klangkunst. Stehende Ovationen bei der Premiere. Und eine Reise nach Göteborg wert. Göteborgs Operan So. 15. Februar 2015 Fr. 20. Februar 2015 So. 1. März 2015 Do. 5. März 2015 So. 15. März 2015 Mit. 18. März 2015 Sa. 21. März 2015 Sa. 28. März 2015

Warten auf Godot

Allein für dieses erste Bild lohnt sich der Abend: Es erzählt Becketts Zweiakter in einer Minute. Wie in einer Installation von James Turrell hat Mark Lammert die schräge Rampe mit Seide ausgelegt und so beleuchtet, als würde sie von innen glühen. Unmerklich beginnt sich der Stoff zu bewegen, hin in einen zentralen Schuld bis alles Poetische im Schwarz verschwunden ist. Wolfram Koch und Samuel Finzi, als Komiker-Paar Didi und Gogo, spielen, tanzen und singen mit wahrer Freude und schierer Ausgelassenheit am Rande des Abgrundes. Sie bleiben dabei ganz bei sich und geben Raum, die eigenen inneren Räume von der Absurdität des Lebens berühren zu lassen – und erschüttern zu lassen. Die Inszenierung enthält sich der Interpretation und legt damit die elementare Kraft des Textes frei. Die mehrfach ausgezeichnete Produktion ist jetzt auch zum Theatertreffen 2015 eingeladen. Deutsches Theater Berlin Do. 26. Februar 2015 So. 1. März 2015 Fr. 13. März 2015 Residenztheater München So. 3. Mai 2015 Mo. 4. Mai 2015 Thalia Theater Hamburg Fr. 5. Juni 2015 Sa. 6. Juni 2015

Ein Geschenk der Götter

Selten hat man ein so trauriges Thema wie Arbeitslosigkeit so heiter und doch so tiefsinnig erzählt bekommen. Die Komödie von Oliver Haffner erkundet, was ein Mensch wert ist, wenn er nichts zum Bruttosozialprodukt beiträgt. Anna (Katharina Marie Schubert), Protagonistin und Schauspielerin, bekommt zum Ende der Saison ihren Vertrag am Ulmer Theater nicht verlängert. Das Theaterprojekt, das sich aus diesem Umstand entspinnt wird eine Unternehmung, die man meint in Echtheit mitzuerleben, so nah kommen einem die Figuren. Katharina Marie Schubert wurde gerade als Beste Darstellerin mit dem Bayerischen Filmpreis 2014 ausgezeichnet und überzeugte die Jury mit ihrer authentischen und berührenden Darstellung von Anna. In der Kategorie »LOLA at Berlinale« ist der Film jetzt im offiziellen Programm der Berlinale zu sehen Fr 6.2. 14 h Zoo Palast 2 (mit Englischen Untertiteln) Und ab Mitte April auf DVD.

Den Krieg erklären

Der Erste Weltkrieg war der letzte Krieg, der erklärt wurde. Danach begannen Kriege oder man trat in Kriege ein. Es gibt Krieg, dann muss man nichts erklären. andcompany&Co erklären in ihrem Lecture-Konzert »Sounds like war« eine ganze Menge über Krieg – dada lässt grüßen. Und seit Kriege über Grenzen hinweg geführt werden, stellt sich nun die Frage, wie Kriege heute beendet werden. Wie machen wir Frieden? Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin? Zuhausebleiben ist eine Option. Wenn alle zuhause bleiben, ist Frieden. Der Abend macht Spaß – und nachdenklich. Termine 2015 Kaaitheater, Brussels 13./14. Januar 2015 Mungo Park, Allerød (DK) 24./25. Januar 2015 Impulse Festival, Mülheim an der Ruhr 18. bis 20. Juni 2015

Exporting War

Passend zur Adventszeit und zum Fest des Friedens gibt es im Hebbel am Ufer die Waffenlounge. Eröffnet wird sie von Hans-Werner Kroesinger mit seinem Dokumentar-Stück »Exporting War«. Ergeben zwecklos. Hans-Werner Kroesingers Abend funktioniert wie eine Drohne: Selbst wenn man sich dem erschlagenden Daten-Staccato irgendwann ergeben möchte, man hat keine Chance. Man bekommt kein interaktives Erlebnistehater, wie bei Rimini Protokoll, sondern Frontalunterricht. Aus Fakten und Zitaten muss man als Zuschauer selbst einen Sinnzusammenhang herstellen. Aus der letalen Informationsdichte echot es aus dem Hinterkopf, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen möge. Passt das zusammen mit dem drittgrößter Waffenexporteur der Welt: Deutschland ist vorne dabei: von der Handfeuerwaffe bis zum Leopard 2 und den Drohnen in Rammstein. Das Klatschen am Ende würde man sich gerne sparen. Hebbel am Ufer, Berlin, HAU 1 Mo 08.12.2014 Di 09.12.2014 Mi 10.12.2014 Sa 13.12.2014 So 14.12.2014 Di 16.12.2014 Mi 17.12.2014 Fr 19.12.2014 Sa 20.12.2014

Die Vaterlosen

Eine Familiengeschichte in sieben Bildern, so untertitelt der ungarische Dramatiker Csaba Mikó sein Stück. Der Text spannt einen Bilderbogen von 1977, der Geburt des ersten Kindes, bis ins Heute. Man reist als Zuschauer mit in der Zeit, aber der Text kommt über das Familiäre nicht hinaus: Einzige zeitgeschichtliche Referenz im Stück ist der Abzug der Russen aus Ungarn. Wie in einer Schneekugel tragen die fünf Geschwister und ihrer Mutter ihre Dramen und Scharmützel miteinander aus. Das Weltgeschehen dringt nicht herein ins Private. Für eine gesellschaftspolitische Parabel hält das nicht her. Weder Kommunismus noch Kapitalismus werden kritisch hinterfragt. Dank der Inszenierung von Michael Lippold, die erfreulich weit über den Text hinausweist, gelingt eine größtmögliche Annäherung an die historischen Zusammenhänge. Ein spannender Abend entsteht aus der kongenialen Ensembleleistung der sechs Schauspieler. Die vermag zu berühren und zu überzeugen. Theater Regensburg am Haidplatz 12 Termine vom 12.11.2014 bis 6.12.2014 Eröffnungsinszenierung auf dem Kortárs Drámafesztivál Budapest Freitag, 28. November 2014

10.11.2014

Ost-Schönheit

So viel Transitgeschichte dürfte kaum einer in sein 31jähriges Leben hineinbekommen haben. Im Osten geboren, mit sechs Jahren »rübergemacht«, mit 20 nach Westberlin, mit 26 in den wilden Osten und am 1.9.1989 wieder in die DDR eingebürgert. Mit seiner Ronald M. Schernikau Collage »Die Schönheit von Ost-Berlin« gelingt Bastian Kraft eine kluge Revue aus Geburt, Tod, BRD, DDR, AIDS, Elfriede Jelinek, Heiner Müller und Marilyn Monroe. Man findet auch die Schönheit der Einsamkeit, die Schönheit des Coming Out in der Westdeutschen Provinz, die Schönheit der Trash-Travestie und die Schönheit von Sätzen wie: »Alles lässt sich leben, auch der eigene Tod.« Das alles wird verdichtet in der Schönheit der fünf Schauspieler, die dieses kleine Leben ganz groß erzählen. Eine wichtige Stimme zum Mauerfalljubiläum. Zu sehen am Deutschen Theater Berlin So. 09. November 2014 Di. 18. November 2014 Do. 27. November 2014 Sa. 06. Dezember 2014 Di. 16. Dezember 2014 So. 28. Dezember 2014 9./11./ 20. Januar 2015

Bach/Passion/Johannes

Simon Rattle nannte den Kreuzige Chorus das »Sacre du Printemps« des 18. Jahrhunderts. Auch der Anfang von Bachs Johannes Passion ist alles andere als melodische Musik. Aber Laurent Chétouane fängt nich an, wo es anfängt. Der Abend beginnt mit den Tod Jesu. Die Johannes Passion ist ein Stück für Sucher und so wandert ein Kollektiv aus vier Tänzern, einer Sängerin und sieben singenden Instrumentalisten barfüßig durch die Passion. Aus dem musikalischen Dickicht Bachs destillieren sie einen kargen Klang. Mit dieser Freilegung gelingt ihnen aber nicht immer eine Offenbarung: zu oft verschwimmt das Zarte zur Unhörbarkeit. Bachs gewaltige musikalische Bilder gehen flöten. Das Offene bei Bach ist der Moment des Todes, der nicht zu beweinen ist, sondern zu ergreifen: der Anfang einer nie gekannten Freiheit. Dieser Offenheit will uns die Inszenierung näherbringen: »Es ist vollbracht«. Aber dort endet der Abend nicht. Auch das Ewigkeitsgefühl will ausgehalten sein. Oktober, Kampnagel, Hamburg Do, 2.10.2014 Fr, 3.10.2014 Sa, 3.10.2014 jeweils 20 h November, HAU Hebbel am Ufer Berlin 8./ 9. und 11.11.2014 Dezember, Tanzhaus NRW Düsseldorf 13. und 14.12.2104 Januar, Tanzquartier Wien 16 und 17.1.2015 Mai, Le Maillon Pôle Sud, Strasbourg 28 und 29.5.2015 Juni, Rencontres chorégraphiques internationales de Seine-Saint-Denis / Paris 12. und 13.6.2015

Sketches/Notebook

Als Zuschauer betritt man den »Werk-Raum« und ist in diesem Moment kein Zuschauender mehr: Man wird eingesogen in eine Echtzeitversuchsanordnung, in der wirklich etwas versucht wird. Wir sehen Bewegung und Bewegtheiten, Hingeworfenes und sich Hineinwerfendes. Meg Stuarts Spieler setzen sich der Rauheit der Unvollendetheit aus und bewahren sich und uns die Offenheit dem Entstehen zu lauschen. Die Töne, die dabei zu Tage treten sind das Beglückendste und Lebendigste, was man seit langem gesehen hat. Ob das in den sehr viel größeren Raum des HAU 2 transferiert werden kann ohne die Intimität zu verlieren, wird sich zeigen. HAU 2, Hebbel am Ufer, Berlin Mi bis Sa 1.–4.Oktober 2014 »Sketches/Notebook«

Orchesterkaraoke

Es wird das umjubelte Finale des diesjährigen Internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel in Hamburg werden. Soviel ist klar. Matthias von Hartz’ poppiges Mitsingformat wird im achten Jahr gegeben und ist kein bisschen langweilig: handgemacht, selbstgesungen und ziemlich un-plugged. Jan Dvorak dirigiert die Jungen Symphoniker Hamburg und dazu dürfen Zuschauer singen. Wie es sich bei Karaoke gehört wird der Gesang per Mikrophon verstärkt, sonst könnte nicht einmal die Netrebko gegen die 100 Musikerinnen und Musiker des ausgewachsenen Sinfonieorchesters ansingen. Bis Sonntag werden auch die Stehkarten restlos ausverkauft sein und der Saal wird kochen, egal ob Beatles, Bowie, Gaga oder Ganster-Rap auf dem Programm steht. Orchesterkaraoke ist Kult. Für alle Vorstellungen gibt es noch Restkarten. So 24.08.2014 um 17 h, Kampnagel – K6, Hamburg So 24.08.2014 um 20 h, Kampnagel – K6, Hamburg

Bowie verlängert

»I don't know where I'm going from here, but I promise it won't be boring,« sagte Bowie mal. Die Retrospektive ist alles andere als »boring« und ist nun verlängert (bei dem Run hätte man gehofft, länger als zwei Wochen). Die Ausstellung läd den Besucher ein in David Bowies Welt zu tauchen – mit allen Sinnen erlebt man ihn als Stilikone, musikalischen Wegbereiter und Avantgarde-Bühnenkünstler und kann erforschen, welche Ereignisse ihn beeinflusst haben und wie er wiederum auf Film, Theater Design und Musik wirkte. Sein britischer Humor leuchtet immer wieder auf, wie in seinen provokanten trans-gender Surfs. Als Erweiterung zur Schau aus dem Victoria and Albert Museum gibt es eine Abteilung »Bowie in Berlin«, mit Gemälden, Bildern und der Musik, die von 1976 bis 1978 entstanden. Als Ausstellungsvorbereitung gibt es hier eine Stunde Musik, die Bowie in Berlin komponiert und aufgenommen hat. Seiner Musik wollte Bowie eine zusätzliche Dimension geben. Das ist ihm fraglos gelungen. Und den Ausstellungsmachern, diese einzufangen. Täglich von 10:00 – 20:00 h Martin-Gropius-Bau, Berlin Bis 24. August 2014

Groninger Museum, Groningen Noch bis 13. März 2016

Crowd Out

1000 Stimmen ertönen im »flash mob« der Berliner Philharmoniker. Es wird gerufen, gesungen, gemurmelt, geraunt als bewegte sich die kritische Masse unsrer überindividualisierten Gesellschaft, in der sich das »Ich« immer mehr vereinzelt. Komponiert vom New Yorker David Lang kommt Crowd Out zur Deutschlandpremiere unter der Musikalischen Leitung von Simon Halsey. Auf dem Vorplatz des Kulturforums Berlin – kostenlos und draußen Samstag 14. Juni 2014 um 18 h Sonntag, 15. Juni 2014 um 19 h Dauer jeweils 30 min London, Band Stand, Arnold Circus Sat 21 Jun 15:30 Performance #1 18:00 Performance #2

Die letzten Zeugen

Sie sind zwischen 82 und 101 Jahre alt. Und sie haben überlebt. Matthias Hartmann und Doron Rabinovic lassen 75 Jahre nach dem Novemberpogrom 1938 sieben Zeitzeugen mit ihren Erinnerungen zu Wort kommen. Zurückhaltend eingerichtet entfalten die von vier Burgschauspielern (herausragend Dörte Lyssewski) vorgetragenen Berichte ihre Wirkung, Intensität und Schwere. Die Worte gehen einem nah, die Ereignisse dringen tief. Die, die damals Kinder waren, sitzen jetzt im Bühnenhintergrund und durchleben ihre eigenen Erinnerungen aufs Neue. Am Ende des Abends steht das ganze Publikum. Aber es sind keine stehenden Ovationen, kein Theaterapplaus. Es gibt einen zurückhaltenden Beifall mit einer stillen Kraft – eine Würdigung von Überleben, Mut und Menschlichkeit. Ein Dank an die, die uns Zeugen sein lassen. Der wichtigste Abend beim diesjährigen Theatertreffen. Und wie Ari Rath es sagte: Bedeutsam »Die letzten Zeugen« gerade in Berlin zeigen zu können. Donnerstag, 15.5.2014, Haus der Berliner Festspiele, Berlin Samstag, 17.5.2014, 20 h, Schauspiel Dresden Donnerstag, 05.06.2014 um 19.30 Uhr, Burgtheater Wien Sonntag, 28.9.2014, 19 h, Hamburger Theaterfestival, Schauspielhaus Hamburg

Mütter opfern Frühling

Am Ende des Abends bleibt die Frage: Wo ist die Mütterlichkeit? Nach dem gefeierten Väterabend »Testament« bringen She She Pop jetzt den Mütterreigen »Frühlingsopfer« auf die Bühne. In einem klugen Setting mit altarartigem Doppel-Diptychon bleiben die Mütter distanzierte Projektion. Die vier Spieler interagieren mit den überlebensgroßen Mutterbildern, projizieren sich hinein und hinaus. Diese »Ein-Bildungen« entsprechen vermutlich genau der realen Beziehungsebene. Mit dieser Interpretation von Strawinskys »Le Sacre du printemps« ist She She Pop ein konsequenter Abend gelungen. Applaus und Blumenregen. Hebbel am Ufer, HAU1 Sa 12.04.2014, 20:30 h So 13.04.2014, 17 h Mo 14.04.2014, 20 h Di 10.06.2014, 20 h Mi 11.06.2014, 20 h Do 12.06.2014, 20 h Mousonturm, Frankfurt am Main Sa 26.04, 20 h So 27.04.2014, 18 h Kaserne Basel Do 26.6.2014, 20 h Fr 27.6.2014, 20 h Sa 28.6.2014, 20 h Kampnagel Hamburg 15. bis 17. Januar 2015, jeweils 20 Uhr

Jederzeit Jedermann

Philipp Hochmair ist all in one: Protagonist, Buhlschaft, Schuldknecht und untreuer Getreuer. Er spielt an der Kante der Bühne, wirft sich in die Figuren und wirft uns die Figuren vor die Füße – und das mit einer Intensität, dass einem Hören und Sehen vergeht. Nur die elfenhaften Töne von Simonne Jones untermalen manchmal die Fallhöhe. Ein Teufelsritt mit großer Geste, der dabei differenziert und genau den Fragen des Lebens nachgeht, ein Rock-Konzert ganz und gar auf der Suche nach dem Ende der Endlichkeit. Am Thalia Theater Hamburg: Sa. 19.04.2014 um 20 h Mo. 09.06.2014 um 19 h So. 29.06.2014 um 14 h

Tauber Bach

Alain Platel ist zurück in Berlin. Diesmal gleichsam als Preview zum Theatertreffen 2014. Sein neustes Stück »tauberbach« tänzelt am Rande der Existenz genau vor diesem Abgrund herum. Dazu hört man Bach, gesungen von Gehörlosen. Platels Glück sind seine Tänzer vom Ballets C de la B: Tiere, Wesen, Expressionen in urwüchsigem Gesten, finden sie eine Gebärdensprache für den Gesang der Gehörlosen. Kitsch inklusive. 4. bis 6. März 2014, jeweils 20 h im HAU 1

4.03.2014

Am Strand mit Einstein

»Einstein on the Beach« von Philip Glass und Robert Wilson schrieb einst Avantgarde-Geschichte. Jetzt wird im Haus der Berliner Festspiele die Uraufführungsinszenierung der Minimal Music Oper von 1976 rekonstruiert. Das Fünf-Stunden-Epos gilt als eines der ersten Kunstwerk des digitalen Zeitalters – nur zusammengesetzt aus Musik, Bild, Bewegung, Zeit. Die Variantenarmut der Musik entwickelt zusammen mit Stilisierung (Inszenierung: Robert Wilson) und Dynamik (Choreographie: Lucinda Childs) einen flirrenden Sog, der unabwendbar in stehenden Ovationen endet. Haus der Berliner Festspiele: 3. März 2014, 18.30 Uhr 5. März 2014, 18.30 Uhr 6. März 2014, 18.30 Uhr 7. März 2014, 18.30 Uhr Restkarten an der Abendkasse

Sensing Spaces

Für eine der aufregendsten Ausstellungen des Jahres »Architecture Reimagined« waren die kreativsten Denker von Architektur aufgefordert neue Perspektiven zu ersinnen: Alvaro Siza, Grafton Architects, Diébédo Francis Kéré, Eduardo Souto de Moura, Kengo Kuma, Pezo von Ellrichshausen. Die Ausstellung will Räume erfahrbar machen: Wie fühlt man sich in dem Raum, in dem man gerade sitzt und das hier liest? Was macht das aufsteigende Dach eines Bahnhofs mit uns, der feuchte Geruch eines Kellers, das Gefühl von abgenutzten Steinstufen unter den Füßen, das dumpfe Echo eines Klosters oder die gemütliche Vertrautheit unseres Wohnzimmers? Bis 6. April 2014 Royal Academy London

Out of Schlingensief

Christoph Schlingensief war alles andere als museal. Viel eher wild, dringend, authentisch. Was für die meisten wie eine Grenzauslotung zwischen Filmemachen, Theater- und Opernregie, Aktionskunst, Malerei und Musik wirkte – für ihn war es vor allem Sichtbarmachung. Eine umfassende Schlingensief Werkschau ist zu sehen in den KW Institute for Contemporary Art Berlin. Bevor die Ausstellung im März in New York im PS1 gezeigt wird, gibt es jetzt verlängerte Öffnungszeiten, täglich bis 21 h. In Berlin nur noch bis Sonntag 19.1.2014. Samstag um 20 h gibt es zusätzlich eine spannende Auktion zu Gunsten des Operndorfes.

Lebensjahre

»In the end, it’s not the years in your life that count. It’s the life in your years.«
Abraham Lincoln

19.11.2013

Ein Ende finden

© Benjamin KriegUm etwas zu Ende zu bringen, muss man erstmal anfangen. Die vier Spieler von She She Pop fangen also bei Adam und Eva an: Mit Gott und den himmlischen Heerscharen erschaffen sie die Welt in sieben Tagen und sieben Nächten, rühren in der Ursuppe aus Fotosynthese und Weltraummüll, zerlegen das Bild, das wir von Frauen haben, und enden wie ein Kometenschweif in der Nacht. Die These, dass das Ende dann kommt, wenn nichts mehr geht, wird widerlegt: tosender Applaus.
8. bis 13.10.2013 im HAU 3 Restkarten an der Abendkasse

Der Tanzflüsterer

© Thomas AurinVier Tänzer bewegen die »15 Variationen über das Offene« durch den Raum, loten ihm aus, streichen durch die Leere der Bühne, als wäre sie eine Ausgrabungsstätte mit der Gefahr, dass ein wertvoller Fund zertreten werden könnte. Die Fragilität wird von drei Livemusikern kongenial untermalt. In keinem Moment wird sie gestört. Der Flüsterton hält bis zum Ende. Laurent Chétouane inszeniert eine sachte Suche des Äußeren im Innen und der Innerlichkeit im Außen. Heute noch mal um 20 h im HAU 1 Restkarten an der Abendkasse

31.08.2013

1

Nackt im Wind

2000 tanzte Tino Sehgal sein Stück »ohne Titel« selbst. Bei »Tanz im August« performen drei Tänzer an drei verschiedenen Orten jeweils diese eine Choreografie: Boris Charmatz, Frank Willens und Andrew Hardwidge. Drei nackte Körper zeigen ein und den selben Ritt durch die Geschichte des Tanzes des 20. Jahrhunderts – von den Expressionisten bis Meg Stuart sind alle dabei. Frank Willens ragt ganz klar heraus aus diesem Trio und man möchte nach 55 Minuten nicht weiterziehen. Er tanzt, als würde uns Robert De Niro aus dem Zitatenschatz vorlesen: grandios, präzise und mit leiser Ironie. Noch mal zu sehen, umsonst und draußen vor dem HAU 2 Mittwoch 28. und Donnerstag, 29.8.

Das Leben ist keine Probe

Sie sind gerade ein paar Tage hier und schon ist aus dem HAU das Nature Theater of Oklahoma geworden. Das muss am einnehmenden Wesen der New Yorker Company liegen. Die Türen sind geöffnet, der Eintritt ist frei. Jedenfalls wenn die Truppe probt. Und das ist am: Montag, 1., Dienstag, 2., Donnerstag, 4., Samstag, 6. und Dienstag, 9. Juli ab jeweils 15 Uhr im HAU 1 Man kann buchstäblich kommen und gehen, wann man möchte. Zusätzlich gibt es ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Filmen und »OK Radio«-Podcasts. Auch für den Marathon gibt es noch Karten.

Hüpfendes Glück

Gut zwei Wochen lang kann man jetzt auf den Südgelände in einem »Choreographic Object« von William Forsythe und Dana Caspersen herumspringen. 1997 feierte das »White Bouncy Castle« in London Premiere und durfte dort das erste Mal behüpft werden. Jetzt kommt es im Rahmen des Foreign Affairs Festivals der Berliner Festspiele nach Berlin. Laufen, springen, sich gegen die Wand werfen, auf den Boden fallen kann man zum Soundtrack von Joel Ryan. Man sollte auch Kondition mitbringen, denn fürs Hüpfen braucht man ziemlich Puste. Am Wochenende ist mit Wartezeiten zu rechnen. »White Bouncy Castle« Freitag 28. Juni bis Sonntag, 14. Juli 2013 Di, Mi, Fr: 14:00–19:30 h Do: 16:00–22:00 h Sa & So 12:00–18:00 h Lokhalle Schöneberg Die Lokhalle Schöneberg befindet sich direkt hinter der S-Bahn Station Priesterweg, Ausgang Naturpark Noch mehr Installationen von William Forsythe: Suspense & The Defenders Part 3 Mi – Mo 12:00–19:00 h Do 12:00 – 21:00 h KW Institute for Contemporary Art

27.06.2013

Occupy HAU

© Nature Theater of Oklahoma Am Freitag besetzt das »Nature Theater of Oklahoma« das HAU. Die Performance-Gruppe aus New York wird zwei Wochen lang das Hebbel am Ufer in Beschlag nehmen. Die Türen des Theaters stehen während der Zeit offen. Den Auftakt macht ein Casting, getarnt als Grillfest. Die Company ruft: »Wer Künstler werden will, melde sich. Wir sind das Theater, das jeden brauchen kann.« (nach Franz Kafka). Eröffnung mit BBQ, Freitag 28.6. um 19 h hinter dem HAU 1, Eintritt frei, Anmeldung erforderlich (you@oktheater.org)

25.06.2013

1

Gorki Abschluss-Spektakel

© Thomas AurinFünf Tage im Juni sind es ganz genau, die das Gorki noch mit der alten Mannschaft antritt, bevor die meisten nach Stuttgart verschwinden. Und darum kracht und funkelt es noch mal ganz ordentlich. Das Spektakel ist randvoll mit wilden Mischungen (großartig Aenne Schwarz und Paul Schröder) und Tiefschürfendem. Es lohnt sich also auf alle Fälle. Und am Samstag kann man um 18 h zur Demo kommen, um mit David Marton Widerstand gegen die Missstände in Ungarn zu bekunden. Ein langer schöner Abschiedsschmerz . . .

Scheinbares

»The blue sky is an illusion, behind lies infinite black.«
Derek Jarman

M!M – getanzte Freundschaft

© Oliver FantischSinn entsteht durch Zusammenhang, durch Beziehung. Diesem Entstehen lauscht man, wenn man Matthieu Burner und Mikael Marklund zusieht, wie sie ihre Beziehung zum Raum, zur Umgebung und zu einander erforschen. Begleitet von Beethovens Violin Konzert entfaltet sich dabei ein Tanz, der eine neue Sprache findet, weil die Vokabeln anders ausgesprochen werden als im konventionellen Tanz. Laurent Chétouane hatte den Auftrag zum 50. Geburtstag des deutsch-französichen Freundschaftsvertrages eine Choreografie zu entwickeln: »Wir sollten wieder wagen, eine Utopie in den Raum zu stellen, die Frage nach dem Wir,« sagt Chétouane. Zu sehen ist der schwerelose Einstünder am 23. Mai 2013 — Festival Perspectives, Saarbrücken 7. und 8. Juni 2013 — Kanagawa ArtsTheatre, Yokohama, Japan 19. Juni 2013 — ParisArt, June Events, Paris 10. und 11. Oktober 2013 — Theater Bremen

20.05.2013

1

Die Kraft der Gedanken

»… for there is nothing either good or bad, but thinking makes it so.«
William Shakespeare, Hamlet

30.04.2013

10 Jahre Education-Programm

© Monika Rittershaus»We must be part of the city — and music belongs to everybody,« sagte Sir Simon Rattle vor zehn Jahren. Heute sind die Berliner Philharmoniker Berlin – und das nicht weil sie so exzellente Konzerte spielen, sondern weil sie mit den Berlinern spielten und spielen. In den vergangenen zehn Jahren waren über 30.000 Berliner im Alter von 3 bis 73 Jahren Teil der Education-Projekte (Schüler, Gefängnisinsassen, Altersheim-Bewohner); die Ergebnisse wurden vor über 200.000 Zuschauern präsentiert (thank you Simon). Das wird am Sonntag, 21. April 2013, in der Philharmonie gefeiert. Einen Tag lang von morgens bis abends. Das Programm ist so reichhaltig, dass man sich am besten mehrere Pausenbrote mitbringt. 10 bis 13 h Mitmachprogramm 15 und 18 h Strawinsky und Britten

Wagner ON AIR

© Alexej SauerStefan Kaminski ist eine Instanz: Seit 2004 performt er am Deutschen Theater Berlin die Kult-Serie Kaminski ON AIR. Von Samstag bis Mittwoch kann man jetzt am DT den gesamten »Ring des Nibelungen« sehen, hören, miterleben – so überraschend, unterhaltsam und virtuos, dass es nicht nur Wagnerfreunde vom Sessel reißt. Und das beste: endlich versteht man die Geschichte. Für das Live-Hörspiel von Wagners Ring gibt es noch Restkarten: Sa, 2.2. Rheingold So, 3.2. Walküre Di, 5.2. Siegfried Mi, 6.2. Götterdämmerung Die Welt bezeichnete Kaminski als »einen Mann für das neue Bayreuth«. Diese Aufforderung scheint auf dem grünen Hügel angekommen: Kaminski ist nach Bayreuth eingeladen! Im Rahmen des offiziellen Festspielprogramms 2013 gibt er an vier Tagen hintereinander den Ring (14.–18. August, Das Zentrum). Nach den Münchner Opernfestspielen, der Berliner Philharmonie und dem Schauspiel Frankfurt gibt es im Mai und Juni den kompletten Kaminski-Ring an der Oper Frankfurt.

Die Menschlichkeit des Menschen

Jérôme Bel und Laurent Chétouane im Interview über ihre neuesten Stücke »Disabled Theater« und »Sacré Sacre du Printemps«. Es geht in dem Gespräch um dem Umgang der Gesellschaft mit Andersheit, über die Ergründung der Minorität in einem selbst, über die pure Gegenwart und die Lust an Bewegung, über das Bewußtsein der Performer beobachtet zu werden und das Ende der Repräsentation. Jetzt online auf der Tanz-Seite des Goethe Instituts. Die nächsten Termine in Hamburg, Kampnagel: 1. und 2. Februar, Sacré sacre du printemps 14. bis 16. Februar, Disabled Theater Berlin, Hebbel am Ufer: 9. und 10. März, Disabled Theater

21.12.2012

Über Schönheit

»Und was ich für das wichtigste daran halte: dass es nur die Form ist, die eine Sache verständlich macht und damit Gemeinschaft stiften kann.«
Gerhard Richter

19.12.2012

21.12.12

© Lyn TallyEs naht nicht nur die längste Nacht des Winters, für Freitag wird auch eine Zeitenwende prophezeit. Zu diesem Anlass hat Berlin zwei passende Programme, die einen bestens auf das neue Zeitalter vorbereiten. Jai Sugrim aus NYC bietet einen Yoga-Workshop mit reinigenden Asanas gegen Winterdepression (Seasonal Affect Disorder). Von 18.15 h – 21.12 h Jivamukti Yoga Berlin, Brunnenstr. 29, Mitte Und anschließend übersteht man wahrscheinlich auch spielend die 10-Stunden-Perfomance von Gob Squad. »Are You With Us?« droht damit, halb Gruppentherapie, halb Performance-Alptraum zu werden: Um 22 h im HAU 2

15 Jahre Berlin in Bildern

© Ralf Schmerberg, Coming Home 2009»Der Tod nimmt sich einen Tag nach dem anderen«, nennt Ralf Schmerberg seine Ausstellung der letzten 15 Jahre Berlin. Auf mehreren Stockwerken reihen sich Kunstwerke, Filme und Fotografien neben Dokumentationen seiner vielfältigen Projekte. Im Projektraum der Mindpirates bis 16. Dezember 2012, jeweils Dienstag bis Samstag 17–24 h

The Black Rider

© Thomas Aurin»If you don't use it you'll lose it«, singt der Teufel. Als enthemmtes Musical inszeniert Friederike Heller die Freischütz-Adaption von William S. Burroughs und Tom Waits. Kante lässt die Songs rocken, klingt dabei aber wenig nach Kante und sehr nach Waits. Zum Glück geben Jule Böwe und Tilman Strauß ihren Figuren und damit dem Abend Eigenart und Tiefe, sonst müsste man sich wirklich Fragen, ob man sich in die Friedrichstraße verirrt hat. An der Schaubühne Montag und Dienstag und dann fünfmal im Dezember.

25.11.2012

Geschlossene Gesellschaft

© Erasmus Schröter, Sammlung Berlinische GalerieIn der international ersten umfassende Schau der künstlerischen Fotografie der DDR von 1949–1989 zeigt die Berlinische Galerie Motivation und Bildsprache von 33 Fotografen. Das Panorama reicht von intimen Einblicken in den Lebensstil im Prenzlauerberg bis hin zu Aufmärschen und FDJ Treffen. Berlinische Galerie, noch bis 28.01.2013

Andersheit

»If you've ever talked to someone with two heads you know that they know something you don't.«
Diane Arbus

Das HAU ist jetzt blau

Am Donnerstag, 1.11., eröffnet das Hebbel am Ufer mit dem »Disabled Theater« von Jérôme Bel, das so viel Gegenwart und Leidenschaft in sich trägt, dass es einen durch den ganzen Winter bringen wird. Die neue Hausfarbe des HAU ist Waschmittelblau und erinnert mehr an Vollreinigung denn an Theater. Die Tiere wiederum mehr an Zirkus – es glotzen ein Lama, ein Panther, und jede Menge Äffchen von den Plakaten. Sehen und gesehen werden, sprach der Pfau.

Unter Spielern

© Regina Schmeken, Hamburg, 15/11/2011, GER:NL 3:0, Toni Kroos Kurz vor dem Schwedenspiel wurde diese Photoausstellung eröffnet. Was hätte es da für Motive gegeben. Zwischen März 2011 und Juni 2012 begleitet die Regina Schmeken die Nationalmannschaft zu internationalen Spielen, auch zur Europameisterschaft 2012. Ihre Kamera schaut auf Fussball als wäre er Tanz. So entstehen fast abstrakte Werke von Schönheit und Anmut. Im Martin Gropius Bau bis 6. Januar.

Gert & Uwe Tobias

© Gert & Uwe Tobias, GUT/Z 1917/00ohne Titel / untitled 2012Die Dresdner Paraphrasen sind jetzt in Berlin zu sehen vom 4. Oktober bis 10. November bei CFA am Kupfergraben. Eine Führung durch die Ausstellung mit dem Kurator Dr. Michael Hering gibt es jeden Samstag von 12 bis 13 Uhr. Anmeldung unter: gallery@cfa-berlin.de

Arbus Bonus-Tag

Die erste große Retrospektive von Diane Arbus im Martin-Gropius-Bau in Berlin gibt es jetzt auch noch am Montag 24. September zu sehen. Die Porträts von Paaren, Kindern, Jahrmarktartisten, Nudisten, Mittelklassefamilien, Transvestiten, Eiferern, Exzentrikern und Prominenten bleiben einen Tag länger, als auf dem Plakat angekündigt. Wer es also bis jetzt nicht geschafft haben sollte, bekommt eine letzte Chance (zum letzten Mal geöffnet von 10 bis 19 h).

Drachenfestival

Am Samstag, 22.9.2012, steigt Berlins größtes Festival der Riesendrachen auf dem Tempelhofer Feld. Allein schon die Ausdehnung auf rund 250.000 Quadratmeter macht es einzigartig. Dann wird richtig Wind erwartet und ausserdem Stuntflugvorführungen von verschiedenen Welt- und Europameistern.

20.09.2012

Komma

»Mir liegt auch 30 Jahre nach meinem Tode mehr an einem Komma, das an seinem Platz steht, als an der Verbreitung des ganzen übrigen Textes.«
Karl Kraus

Berliner Licht

In Edward B. Gordons Bildern ist immer das Licht angeknipst. Selbst in seinen Nachtbildern. Ob Mädchen oder Müllmann, die Figuren schwingen alle in einer ausgesuchten Berlin-Lässigkeit. Gerade die kleinformatigen Tagesbilder tragen die Stimmung des durch die Straßen schlendernden Malers in sich. Der Flaneur Edward B. Gordon versteht sich als Maler – nicht als Künstler. Und das erstaunlichste an diesem Buch ist die Unverwüstlichkeit der Bilder: Sie halten der Reproduktion stand, der Verkleinerung und Beschneidung und man bekommt beim Blättern das Gefühl als stände man leibhaftig in der Galerie vor den Originalen. Der kompakte Band ist gerade bei Kein & Aber erschienen.

4.09.2012

Die Räuber zu dritt

© Jim Rakete Die Drei von den Räubern sind Michael Klammer, Aenne Schwarz und Paul Schröder (von links). Mit ihnen eröffnet Antú Romero Nunes »Die Räuber« nach Friedrich Schiller – und das Maxim Gorki Theater die Saison. Sie sind alle drei Sterne des Hauses und stemmen die zweieinhalb Stunden spielend – und singend – mit einer Grandezza, dass es eine Freude ist. Der Star von den Augen fällt wieder: So 2.9.2012 Sa 8.9.2012 Mi 19.9.2012 Di 25.9.2012 Di 9.10.2012 Do 11.10.2012

Denken

»Es ist so bequem, unmündig zu sein.«
Immanuel Kant

24.08.2012

Shakespeare im Park

Die 2012er Produktion ist der ambitionierte Versuch gleich drei Stücke Weltliteratur zu verweben: The Book of Thomas More, All Is True und Utopia. Eine theatrale Konstellation, die dem Görlitzer-Park-Publikum Experiment und Vergnügen zugleich bietet. Utopia™ – Where All Is True: Sa, 4. 8., 19 Uhr So, 5. 8., 16 Uhr Mi, 8. 8., 19 Uhr Fr, 10. 8., 19 Uhr So, 12. 8., 16 Uhr Do, 16. 8., 19 Uhr Sa, 18. 8., 19 Uhr So, 19. 8., 16 Uhr (Derniere)

Man for A Day


Was macht den Mann zum Mann, was macht die Frau zur Frau? Ein einfühlsamer wie spannender Dokumentarfilm über die Gender-Aktivistin und Performance-Künstlerin Diane Torr: Es geht nicht nur um Mann/Frau, sondern um das künstlerische Experimentieren mit Aspekten geschlechtlicher Identität. Jetzt in ausgewählten Kinos.

Leben leben

»Wer ein Warum zu leben hat, der erträgt fast jedes Wie.«
Friedrich Nietzsche

17.07.2012

Urban Intervention

Luzinterruptus ist eine anonyme Künstlergruppe, die Interventionen in öffentlichen Räumen umsetzt. Sie benutzen Licht als Rohmaterial und die Dunkelheit als Leinwand und gründete sich in Madrid Ende 2008.

Jérôme Bel: Disabled Theater

© Michael Bause»Die Behinderungen dieser Menschen«, so Jérôme Bel, »sprengen mein theatralisches und choreografisches Know-how. Sie sind eine lebende Unterwanderung des Theaters und des Tanzes.« Jérôme Bel interessiert von jeher für die humorvolle Auflösung der Repräsentation. Mit den Schauspielern des Theater HORA erkundet er auch den Blick der Gesellschaft auf das Andere und das vermeintlich Unkonventionelle. Juli 12.–15. Avignon, Festival d'Avignon August 23.–25. Essen, Ruhrtriennale 29.–31. Zürich, Theater Spektakel September 1. Zürich, Theater Spektakel 7.–8. Genf, Festival La Bâtie 12.–16. Kassel, dOCUMENTA (13) 18.–19. Mainz, Grenzenlos Kultur Oktober 3.–6. Zürich, Internationales Tanzfestival Yeah Yeah Yeah 10.–13. Paris, Festival d’Automne November 1.–3. Berlin, Hebbel am Ufer

Innovate urban life

Sechs Wochen zu Gast in Berlin: das BMW Guggenheim Lab – ein temporärer öffentlicher Raum und ein Online-Forum, das zum offenen Dialog über das Leben in Großstädten einlädt. Es präsentiert mehr als hundert kostenfreie Veranstaltungen sowie ein breites Spektrum an öffentlichen Programmen mit Vorträgen, Diskussionen und Workshops. Vom 15. Juni bis 29. Juli 2012 im Pfefferberg-Komplex im Prenzlauer Berg

14.06.2012

Vier Jahre Später

Sieben Kunstfreunde © Edward B. GordonEdward B. Gordon ist gerade überall: von der taz bis zum Spielzeitheft des Deutschen Theaters Berlin, vom Zeit Magazin bis zum Wagenbach Verlag. Sein Stil ist ein kraftvolles Schöpfen aus dem Moment: und er lässt einen als Betrachter gleichzeitig in der Schwebe, als würde das Malen des Bildes genau diesen Moment lang dauern. In Berlin gibt es seine Bilder live und in Farbe in der Galerie Liebkranz. Noch zu sehen bis Samstag 23. Juni 2012 LIEBKRANZ Galerie Auguststraße 62 10117 Berlin Mitte Montag 12–16 Uhr Di–Fr 12–19 Uhr Samstag 12–18 Uhr und nach Vereinbarung

Es lebe der Sport

© Etienne GirardetBerliner Jugendliche zwischen 13 und 19 tanzen, singen und spielen zum Thema Sport (Regie: Rachel Hameleers). Die 35 Akteure brennen für ihre Performance. Spielfreude pur. Für dieses Sportstück verpasst man gerne ein Europameisterschaftsspiel. Vorstellungen von »Anpfiff«: Do 14.06.2012 19:30h Fr 15.06.2012 19:30h Sa 16.06.2012 16:00h Alte Feuerwache Oranienstraße 96 10969 Berlin Karten unter (030) 253 992 10

© Etienne Girardet

Ai Weiwei: Never Sorry

Der Film zeigt auf beeindruckende Weise, wie der chinesiche Künstler Ai Weiwei mit Hartnäckigkeit, Mut und Einfallsreichtum Menschenrechtsverletzungen öffentlich macht. Ab 14. Juni in führenden Programmkinos Berlin München

Richter in Paris

Gerhard Richter Panorama vom 6. Juni bis 24. September im Centre Pompidou Paris. Nach London und Berlin wohl die schönste Hängung der Ausstellung. Gerhard Richter war zu Tränen gerührt, berichten Augenzeugen.

Choreographie der Massen

Eine Ausstellung der Akademie der Künste Berlin in Kooperation mit gmp. Eröffnung heute 18 h

The Fittest

»Nicht die Stärksten überleben oder die Intelligentesten, sondern die am meisten bereit zum Wandel sind.«
Charles Darwin

3.06.2012

Unendlicher Spaß

Matthias Lilienthal gönnt sich zum Abschluss seiner Intendanz am HAU 24-Stunden Unendlichen Spaß. Er bringt die 1.552 Seiten des Buches von David Foster Wallace an die utopischen Orte Westberlins. Es inszenieren (in der Reihenfolge ihres Erscheinens): Mariano Pensotti, Peter Kastenmüller, Gob Squad, Richard Maxwell, Anna Viebrock, Bianchi/Macras, Chris Kondek, Philippe Quesne, Anna-Sophie Mahler, Richard Maxwell, She She Pop, Jeremy Wade, Jan Klata. Termine: Samstag, 02. Juni Mittwoch, 06. Juni Samstag, 09. Juni Mittwoch, 13. Juni Samstag, 16. Juni Mittwoch, 20. Juni Samstag, 23. Juni Mittwoch, 27. Juni

The world is not fair

Auf der »Großen Weltausstellung 2012« gibt es 15 Pavillons: von andcompany & Co., Dellbrügge & de Moll, Willem de Rooij, Harun Farocki, Lukas Feireiss, Erik Göngrich, Institut für Raumexperimente, Hans-Werner Kroesinger, machina eX, Rabih Mroué, Toshiki Okada, Tracey Rose, Umschichten, Dries Verhoeven, Tamer Yiğit und Branka Prlić. Tempelhofer Park/Flughafen Tempelhof Freitag, 1. bis 24. Juni 2012 jeweils Do und Fr 16.00 bis 22.00 Uhr, Sa und So 14.00 bis 22.00 Uhr (durchgehend geöffnet) Fahrradmitnahme wird empfohlen. Eine Produktion von HAU und raumlabor berlin

Taste Festival Berlin

© Mischer Traxler10 days of Food and Creativity Die neue Ess-Kultur und deren Einflüsse auf Design und Architektur: Ausstellungen, Koch-Performances, Dinner Events 1. bis 10. Juni 2012 Berlin Direktorenhaus

Tanzen Tanzen Tanzen

»You can change your life in a dance class.«
Royston Maldoom

27.05.2012

Rattle Waltz Restkarten

Carmen ist das aktuelle Tanz-Projekt des Education-Programms der Berliner Philharmomiker mit 150 Mitwirkenden in einer Choreographie von Sasha Waltz Freitag 25. und Samstag 26. Mai in der Arena Berlin-Treptow

Hammershøi in München

Vilhelm Hammershøi, Innenhof. Strandgade 30, 1899
© Toledo Museum of Art, OhioAb 15. Juni in der Hypo Kunsthalle München. Muss man sehen. Sagte schon Rainer Maria Rilke: »Hammershøi ist nicht von denen, über die man rasch sprechen muss. Sein Werk ist lang und langsam und in welchem Augenblick man es auch erfassen mag, es wird immer voller Anlass sein, vom Wichtigen und Wesentlichen in der Kunst zu sprechen.«

Vilhelm Hammershøi, Innenhof. Strandgade 30, 1899
© Toledo Museum of Art, Ohio

Applaus Applaus

© Piero ChiussiDer letzte Beitrag zum Theatertreffen 2012 und eine Verbeugung an das Publikum.

© Piero Chiussi

LaBute in Bonn

© Thilo BeuHeute Deutschsprachige Erstaufführung: »Tief in einem dunklen Wald« von Neil LaBute am Theater Bonn Regie: Michael Lippold Ausstattung: Julia Ries

Foto: Thilo Beu

16.05.2012

Faust: gehen und sehen

Faust beim Berliner Theatertreffen 2012 Ein Faust mit Wucht und Deutlichkeit. Erlöst von Rollen und Klischees. Und dabei beginnt er so leise. Sebastian Rudolph liefert den Faust-Text so präziese, als würde er Goethes Gedanken einfach aussprechen. Das muss man erleben. Die nächsten Marathon-Vorstellungen von Faust I+II am Thalia Theater Hamburg: Sa, 19.05.2012 So, 27.05.2012 Fr, 15.06.2012

Unvermutet

»There is nothing in a caterpillar that tells you it's going to be a butterfly.«
Richard Buckminster Fuller

Die letzten Tage Richter

Gerhard Richter Bis Sonntag gibt es noch Gelegenheit das wunderbare Panorama in Berlin zu sehen. Geöffnet von 9 bis 22 h. Ab Juni dann in Paris.

10.05.2012

Frieze New York

courtesy of Galerie EIGEN + ART © courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin Foto: Uwe Walter, Berlin Einzelpräsentation von Olaf Nicolai Titel: Warum Frauen gerne Stoffe kaufen, die sich gut anfühlen, 2010 Bis 7. Mai auf der Frieze New York Stand C33

Rakete & die Rockpoeten

Jim in seinem Studio Berlin ist krachend voll mit musikalischem Talent. Jetzt hängen sie bei Münzing Claassen an der Wand. Die Talente. Letzte Chance. Freitag ist Vinissage. Nicht verpassen. Jim Raketes Rockpoeten Ausstellung nur noch bis 4. Mai zu sehen bei: Münzing Claassen Mein absolutes Lieblingsbild: © Jim Rakete: Max Prosa, 2011

© Jim Rakete: Max Prosa, 2011

Gründe

»Ich hab mich gern und oft ausge- zogen; immer wenn mir nichts ein- fiel. Meine Schauspiellehrer sagten zu mir: Hör mal, Theater hat nix mit Exhibitionismus zu tun. Und ich antwortete: Wäre ich dann zum Theater gegangen?«
Herbert Fritsch

aus einem Interview mit Peter Kümmel

Realismus

»Heute, wo wir selbst beim Chinesen mexikanisch essen können, während im Hintergrund Reggae läuft und im Fernsehen gleichzeitig eine sowjetische Sendung über den Fall der Berliner Mauer, heute, wo uns alles so verdammt bekannt vorkommt, hat sich die Aufgabe des Realismus verwandelt.«
Foster Wallace

Italienische Lebensweisheit

»La vita è molto.« Das Leben ist viel.
Donatella Capriz Velte

12.03.2012

18.01.2012

2

Illegal exhibitions in Hamburg

»PARASITES« präsentiert drei Mal im Jahr subversive Ausstellungsprojekte mit internationalen Künstlern in Hamburg. Der Fokus liegt dabei auf jungen, radikalen, provozierenden und politischen Positionen. Die Ausstellungen finden an immer neuen Orten im Hamburger Innen- und Außenraum statt – ohne Genehmigung.