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schönes, erfreuliches
und bemerkenswertes


Der meistgelesene Kulturblog der Hauptstadt – mit Kurzkritiken zu Theater, Tanz, Performance, Oper, Kunst, Kino und Literatur: bemerkenswert, sehenswert, hörenswert.

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STOPP Kulturkahlschlag in Berlin

© RambaZamba Theater

»Kunst kommt von können,« … sagte Karl Valentin, und wer kann, der kann. Berlin kann nicht und muss sparen. Aktuell macht die Kultur einen Anteil von 2,1 % am Gesamthaushalt des Landes Berlin aus. Und davon sollen 2025 noch mal zwischen 110 bis 150 Millionen Euro eingespart werden. Was bedeutet das?

Die geplanten Kürzungen treffen alle: die großen Häuser, die kleinen Spielstätten, die freie Szene, die Literatur, die Bildende Kunst, den Tanz, die kulturelle Bildung, die Clubs und alle, die in Berlin im Kulturbereich tätig sind (das sind 8,2% der Erwerbstätigen).

Die Kulturschaffenden Berlins stehen solidarisch zusammen, um Kürzungen für den Kultursektor entschieden abzuwenden. Unterstützt wird die Petition des Deuten Bühnenvereins von zahlreichen Künstlerinnen und Künstlern, darunter Daniel Barenboim, Simon Rattle, Kirill Petrenko, Frank Castorf, Nina Hoss, Katharina Schüttler, Fritzi Haberlandt, Lars Eidinger, Ulrich Matthes, Joachim Meyerhoff, Barrie Kosky, Michael Thalheimer, Sasha Waltz, Angela Winkler und viele andere

Nicht nur der Berliner Senat hat Kürzungen angekündigt, auch der Bundeskulturfonds im Bundeshaushalt 2025 eine Reduktion um 50 Prozent. Das könnte die kulturelle Vielfalt und Bildung in Deutschland erheblich beeinträchtigen.

Wer seine Stimme erheben will, kann die Initiative des Deutschen Bühnenvereins hier unterstützen.
 

 

Plewka & Schmedtje: »Between the 80’s«

Sie haben uns sofort in ihrem Bann: Barfüßig und ganz in Weiß gekleidet, tanzend, singend bahnen sich Jan und Marco wie zwei Hare Krishnas den Weg durchs Publikum. Wir wollen die Mantren direkt mitsingen, ihnen folgen, ihrem Strahlen in den Augen und in der Stimme. Genau das ist der Zugang zu den 80ern, den uns diese beiden fabelhaften Musiker eröffnen. Feinsinnig, ironisch und gleichzeitig nehmen sie jeden Song so ernst, dass man weinen möchte. Pur und bar, wie auf die Knochen herunter gekocht. Die Bedeutung frei gelegt, wie die wahre Nacktheit.
 
Wie machen sie das? Sie erzählen Geschichten, sie sind »show men« und ein Duo, das jeden Abend neu eine Spielfreude hervorbringt, dass einem das Herz übergeht. Dann sind alle Versionen immer Interpretationen. Wir bekommen also der Blick der beiden auf die Hits der 80er Jahre. Ein Live-Genuss der handgemachten Musik, der das kongeniale Album in den Schatten stellt: Wir begegnen den Helden: »Billie Jean« (von Michael Jackson), dem »Smalltown boy« (von Bronski Beat), den »Wild Boys« (von Duran Duran) oder dem »Material Girl« (von Madonna) und Plewka & Schmedtje lassen uns neue Dimensionen entdecken in Liedern, die wir vielleicht tausendfach gehört haben. Unerhört!

Dann wird in der zweiten Hälfte noch ordentlich aus dem Hut gezaubert. Mehr soll nicht verraten sein. Beglückend eins ums andere Mal, die unfassbar schöne Version von »Der Traum ist aus«, »Junimond« und »The Boxer«. Kommen und Hören, kommen und Sehen. Nichts schöner als das, was vergeht.


Hamburg, Fabrik
Do 6.6.2024 um 20 h

Bremen, Kito – Altes Packhaus
Fr 7. Juni 2024 um 20 h (Tickets)
 
Itzehoe, Lauschbar
Sa 8. Juni 2024 um 20 h

Langeness, Kultur auf den Halligen
So 9. Juni 2024 um 20 h

Eberswalde, Kleinschmidt
So 12. Januar 2025 um 20 h (Restkarten)


 

The Romeo

Der Choreograf Trajal Harrell ist der letzte, der sich vorstellt. Die anderen, lassen uns wissen, wie oft sie in Disney Land waren (65 mal), oder welcher Nationalität sie angehören (I am French. Nobody is perfect.) Offene Bühne, volles Saallicht.

Und dann beginnt das Spiel: »Wir weben, wir weben!« schrieb Heine. Die Zeile könnte eine Überschrift sein für diesen Tanzabend. Jeder einzelne Spieler spinnt seinen individuellen Faden, bringt seine Einzigartigkeit in diesen Kosmos aus Bewegung; so verbindet sich das ganze Ensemble zu einem organisch atmenden Körper. Jeder der 14 Tänzer des Schauspielhaus Zürich Dance Ensembles webt seinen eigenen Ausdruck in diesen großen Teppich, der sich über anderthalb Stunden, Faden um Faden, verdichtet. Auch der Klangteppich verwebt zu einer filmischen Grundierung aus unterschiedlichsten Genres, wie Pink Floyd, Vladimir Cosma oder Erik Satie enthebt uns der Zeit, Leben und Tod.

Kongenial sind die Kostüme bei jedem neuen Auftritt neu erdacht, Versatzstücke tauchen immer wieder auf, zu neuen Kombinationen verschnitten, kulturelles Erbe geöffnet, vorgetragen wie Haut Couture. Wir entdecken Preisschilder, Kleiderbügel-Fragmente, Hemden als Kleider, Röcke als Oberteile getragen. Repetition und Variation finden wir auch in den Bewegungsmustern: ägyptische Armhaltungen, griechische Kreistänze, höfische Gruppentänze. Die immer gleichen Abläufe hypnotisieren und entwickeln einen mythologischen Sog.

Über den Abend scheinen sich auch die Bewegungen mehr und mehr zu befreien. Wir erleben ein Fest aus Körperformen, Klangfarben und kulturellem Ausdruck. Das Freie braucht die Offenheit und Imperfektion. Großes Tanztheater, das sich von Vorstellung zu Vorstellung weiter verdichten wird und immer neue Transformationprozesse anstoßen wird. Dringend empfohlen, nicht nur für Tanzfans.

Schauspielhaus Zürich, Pfauen
Mo 03.04. 20:00 
Sa 08.04. 20:00 
Sa 15.04. 20:00
So 16.04. 16:00
Do 27.04. 20:00
Fr 28.04. 20:00
So 30.04. 17:00
Mo 01.05. 18:00
So 07.05. 16:00
Mo 22.05. 20:00 

Walküre

© Bernd Uhlig

Ein Wolf, ein Flügel, Wotan in Unterhosen, Flüchtlinge als stummer Chor und das Ganze in einem Bühnenraum voll gepfercht mit alten Koffern. Dazwischen Nebel, schwebende Sieglinden, Saallicht, Hojotoho. Viel Trubel und wenig Zusammenhang hat das Regieteam um Stefan Herheim da auf die Bühne gestellt. Nach 30 Jahren ein brandneuer Ring (Premiere 27.9.2020), bei dem man zum Verständnis einen Beipackzettel braucht: und auch der macht aus den einzelnen Effekten leider kein Erzähltheater.

In diesem »Kofferraum« tummeln sich große Stimmen, die große Freude machen: Nina Stemme als Brünnhilde, Annika Schlicht als Fricka und Lise Davidsen als Sieglinde. Aber Stefan Herheim schafft es nicht diesen Frauenfiguren neuen Raum zu verschaffen oder den Walküren zu neuen Höhen zu verhelfen. Sie müssen sich mit Untoten herumschlagen und sich vergewaltigen lassen.

Der Göttervater Wotan, gesungen von John Lundgren, schwebt bei Zeiten über allem und auch hier scheint die Regie den zarten Momenten im Weg zu stehen. Das Lebewohl weiß Lundgren beileibe so zu singen, dass man schmilzt – das hat er in Bayreuth und auf den großen Opernbühnen bewiesen. Es wäre als fehlte nicht nur an dieser Stelle die Ruhe und der Raum für die Musik und die Worte.

Ein neuer Ring, ein neues Ding. Große Erwartungen. Bravos und Buhs im tosenden Schlussapplaus.

Deutsche Oper Berlin
So 4. Oktober 2020 um 16 h
Do 8. Oktober 2020 um 17 h
So 11. Oktober 2020 um 16 h
Fr 13. November 2020 um 17 h
So 15. November 2020 um 16 h

2.10.2020

Hexploitation

© She She Pop
»Was treibst du, wenn dich niemand sieht?«, fragt Sebastian, der einzige Mann im Performance-Kollektiv She She Pop. Der Abend »Hexploitation« ist eine Versuchsanodnung, um den Zusammenhang von Körper, Kapitalismus und Klimakterium aufzudecken. Es geht um Alter, Schönheit und Scham – im Mikrokosmos und Makrokosmos. Der Abend beginnt mit einer Nacherzählung des Film Gaslight von 1944. Der weiblichen Hauptfigur wird etwas eingeredet. Narrative reden uns etwas ein, bis wir sie selbst glauben. Wer die Narrative bestimmt, bestimmst also das Denken. »Hexploitation« hinterfragt die Narrative von Jungendwahn und Faltenfreiheit. Wir erfahren, dass die WHO die Menopause als »climacteric syndrome« definiert, also als Krankheit einstuft. »Ich bin bereit für die Nahaufnahme!«, ruft Johanna. Aber die vermeintliche Nabelschau mit Menstruationsblutberechnung fordert vor allem auf zu einem kritischen Hinterfragen der aktuellen Narrative, etwa der pandemischen. Wir alle, Zuschauer und Performer, sitzen in der She She Pop Inszenierung aus Hitzewallung, Horrorfilm und Hexenküche und dürfen uns fragen, mit welchen viel größeren Narrativen wir täglich bespielt werden. Was also bestimmt unser Denken? In diesem Sinne ein wahrhaft enthüllender Abend. Hebbel am Ufer Berlin, HAU2 Di 22. September 2020 Mi 23. September 2020 Do 24. September 2020 jeweils um 20 h Kampnagel Hamburg, K2 Fr 30. Oktober 2020 um 20:30 h Sa 31. Oktober 2020 um 20:30 h So 1. November 2020 um 18 h Weitere Termine finden Sie hier.

Judith/Herzog Blaubarts Burg

© Wilfried Hösl
Das Dunkle. Sie bringt es ans Licht: Judith, die Ermittlerin, und Katie Mitchell, die Regisseurin. Das dunkle Geheimnis des Herzog Blaubart, der Mann, durch dessen Unterbewusstsein das Psychodrama führt. Ein Mann, der durch stetiges Bitten Judiths Tür um Türe öffnet. Herausgekommen ist ein fabelhafter Doppelabend mit Musik von Béla Bartók. Bei dem geht es weit ruhiger zu auf der Bühne der Bayerischen Staatsoper, als man das von Katie Mitchell kennt: Die Film-Ouvertüre entsteht nicht live, sie wurde vorproduziert. Auch der zweite Teil ohne Kameras; eine naturalistische Märchenerzählung, albtraumhaft mit melodramatischem Ende. Mitchell schafft jedoch etwas von ihrer typischen Erzählweise formell umzusetzen: Die Szenen ziehen praktisch am Publikum vorbei. Sieben Räume mit den sieben Türen bewegen sich von rechts nach links als würde man einen Filmstreifen gegen das Licht halten. Damit bringt die Regisseurin den Symbolismus der Blaubart Sage kongenial mit dem Impressionistischen von Béla Bartóks Musik zusammen: Meine Erinnerungen sehen mich. Der Abend ist ein Sieg der Frauen, auch wenn es zu Beginn noch nicht so aussieht. Am Pult leuchtet Oksana Lyniv, Nina Stemme als Judith, die Blaubart führt ohne dass er das merkt. Damit gelingt Judith die Opfer-Täter-Umkehr, die Mitchell inszeniert. Der Abend erzählt aber auch von Paardynamik, Liebe als Ware und der Unterschiedlichkeit von Männern und Frauen. Die Bayerische Staatsoper hat mit Nina Stemme (Judith) und John Lundgren (Blaubart) zwei Weltstars für Bartóks einzige Oper gewonnen. Die beiden singen oft zusammen und bringen, neben den stimmlichen Dimensionen, besonders eine darstellerische Tiefe in die Handlung, die sie zu einer eine Idealbesetzung macht. Die Münchner goutierten das mit langem Applaus. Bayerische Staatsoper München So 9. Februar 2020 um 18 h Do 13 Februar 2020 um 19 h So 16. Februar 2020 um 18 h Sa 27. Juni 2020 um 18 h Mo 29. Juni 2020 um 19 h

Kanon

© Dorothea Tuch

»Was ist Ihr Theatermoment?« fragt Sebastian Bark ins Publikum. »Schließen Sie die Augen und besuchen Sie den Augenblick, der Sie bewegt hat.« Nach diesen magischen Momenten suchen sie zwei Stunden lang: She She Pop und Gäste fächern in ihrer neuesten Produktion einen Kanon aus Theatererlebnissen auf, von Jérôme Bel bis Christoph Schlingensief.

Sieben Performerinnen und Performer stecken in Overalls mit lebensgroßen Kunstikonen. Sie »verkörpern« Valie Export, Marina Abramović, Yoko Ono, Joseph Beuys, Yves Klein. Auch das Kostümbild versteht sich als Kanon.

Es geht in »Kanon« aber nicht um die Alternativen zum bildungsbürgerlichen Sprechtheater, vielmehr entwickelt der Abend immer dann seine Kraft, wenn die Spieler teilen, was sie wirklich in Bewegung gebracht hat, wenn sie sich trauen die Berührungspunkte offen zu legen. Dann wird aus dem Zeigen ein Teilen, und im Besten Sinne des Postdramatischen entsteht in diesem Moment eine Gemeinschaft im Theaterraum: aus Akteuren und Publikum im Hier und Jetzt.

Fabelhaft gelingt das Brigitte Cuvelier, die »Mörder Woyzeck« von Johann Kresnik aus dem Jahr 1987 nacherzählt, während die Anderen auf der Bühne versuchen die Szene nachzustellen. Warum dieser Moment für sie lebensverändernd war, lässt sie uns miterleben und mitfühlen.

Eine Hymne an die flüchtige Kunstform des Performativen. The Show Must Go On.

Hebbel am Ufer, Berlin, HAU 2
Sa 23. November 2019 um 21 h
So 24. November 2019 um 21 h
Mo 25. November 2019 um 20 h
Di 26. November 2019 um 20 h
Do 12. März 2020 um 19 h
Fr 13. März 2020 um 19 h
Sa 14. März 2020 um 19 h

Mousonturm, Frankfurt am Main
Do 23. Januar 2020 jeweils 20 h
Fr 24. Januar 2020 jeweils 20 h
Sa 25. Januar 2020 jeweils 20 h

But Beautiful

Was passiert, wenn wir uns mit dem Rhythmus des Planeten verbinden? Und wie erreichen wir die höchste Verbundenheit allen Seins? Der Filmemacher Erwin Wagenhofer lässt uns eintauchen in die Welt der Musik, der Natur und der Liebe: Er lässt uns teilhaben an seiner Spurensuche eines gelingenden Lebens. Wir sehen Frauen ohne Schulbildung, die Solaranlagen für ihre Dörfer bauen, Ödland, das wieder zum Blühen kommt, Menschen, die ihrem Herzen folgen. Anders als in seinen Vorgänger-Filmen legt Erwin Wagenhofer nicht den Finger in die Wunde. Vielmehr steckt er uns an mit vibrierenden Positivbeispielen, die uns zeigen, dass wir etwas bewegen können, wenn wir uns die Freiheit nehmen. Dörfer, Inseln, Kontinente: dort treffen wir Erich und Barbara Graf, Bunker Roy, Kenny Werner, Erwin Thoma – und den Dalai Lama. Wir lernen, wie man energie-autarke Holzhäuser bauen kann, wenn man auf den Mond hört, wie Frieden entsteht, wenn wir zusammenarbeiten und warum Frauen die Weltveränderer sind. In über fünf Jahren sind 400 Stunden Material entstanden, die Wagenhofer mit seinem Team in 14 Monaten zu einem zweistündigen Opus destilliert. Der Film lockt uns ins Freie, erklärt wenig, lässt Raum. Mehr Meditation, weniger Dokumentarfilm. Große Ermutigung, großes Kino. Gehen und Sehen. But Beautiful auf der großen Leinwand: Hamburg, Abaton Kino Fr 15. November 2919 um 17:30 h mit Erwin Wagenhofer und Sabine Kriechbaum Leipzig, Passage Kinos So 17. November um 13 h mit Erwin Wagenhofer und Sabine Kriechbaum Zürich, Kosmos Kino Di 19. November um 18 h Vorpremiere mit Erwin Wagenhofer und Sabine Kriechbaum Weitere Termine mit den Machern Kinofinder Deutschland Kinofinder Österreich Kinofinder Schweiz

Don Giovanni

© Brinkhoff/Mögenburg
Die Schichten von Wolfgang Amadeus Mozarts Komposition gehen direkt vom ersten Ton an unter die Haut – und das ist Adam Fischers musikalischer Leitung zu verdanken. Don Giovanni gehört zu Adam Fischers »Herzstücken«. Das sieht man seinem Dirigat an. Die drei Stunden Oper absolviert er hinreißend feinsinnig, ganz ohne Partitur. Der Dirigent wird Teil der Inszenierung, für die Zuschauer sichbar, indem Adam Fischer aus dem Orchestergraben herausragt. Die Hamburgische Staatsoper bringt die Wiener Fassungen von Mozarts Oper Don Giovanni zur Aufführung und komplettiert damit ihre Mozart/Da Ponte-Trilogie. Selten sieht man eine so durchgängige Ensembleleistung hochkarätiger Stimmen, die sich mit Spielfreude in die drehenden Bühnenbauten hineinwerfen. Kyle Ketelsen liefert mit seinem Leporello ein absolut sängerisches und spielerisches Glanzlicht. Mit seiner Figurenführung schafft es Jan Bosse Mozarts musikalische Schichten differenziert aufscheinen zu lassen. Andrè Schuens Don Giovanni offenbart eine tiefe Sehnsucht nach Liebe. Allein seine funkenschlagende Begierde hält ihn davon ab zur wahren Liebe vorzudringen. Trotz teurer Feste und Champagner Arie bleibt Don Giovanni einsam bis zum Ende der Oper, seiner Höllenfahrt. Große Oper. Sehenswert. Staatsoper Hamburg Mi 23. Oktober 2019 um 19 h Sa 26. Oktober 2019 um 19 h Di 29. Oktober 2019 um 19 h So 3. November 2019 um 19 h Mi 6. November 2019 um 19 h Sa 9. November 2019 um 19 h

Isadora Duncan

@ Camille Blake
Jérôme Bel setzt seine persönliche Enzyklopädie des Tanzes fort. Diesmal mit einer Toten: Isadora Duncan (1877–1927). Die Autobiografie der Tanzikone, die den Tanz revolutioniert, hatte Jérôme Bel so inspiriert, dass er ein Stück über die unabhängige Frau machen wollte. Er fand die Tänzerin Elizabeth Schwartz, die von einer der Adoptivtöchter, der Isadorables, die überlieferten Solotänze weitergegeben bekam. Der Abend besticht mit seiner klaren Struktur. Die Zuschauer sehen jede Choreografie viermal: beginnend mit der Musik allein (von Schubert, Chopin und Skrjabin), dann Klavier und Tanz, dann die Bewegung mit Erläuterungen und ohne Musik und noch mal der Tanz mit Musik. Diese analytische Sezierung der Arbeit von Isadora Duncan lässt eine unerwartete Spannung entstehen und lässt einen aufmerksam werden für die filigranen Details, die eng mit der Biografie von Isadora Duncan verwoben sind. Ein gelungenes Stück Konzeptkunst für die Bühne, eine Lecture Performance zum Mitmachen. Tanz im August, Deutsches Theater Berlin So 18.8.2019 um 19 h Paris, Centre Pompidou, Festival Automne 3.–5. October 3 to October 5 November 28 to November 30 Aubervilliers (France), La Commune centre dramatique national d'Aubervilliers 28.-30. November 2019

Mega Israel

© Regina Brocke
Dieser Tanzabend ist nichts weniger als mega. Wer mit so einem Titel antritt, wie die Gauthier Dance/ /Dance Company legt die Latte auf Toplevel. Und Eric Gauthier weiß, was er tut. Die vier strahlendsten Choreographen aus Israel, Hofesh Shechter, Gai Behar und Sharon Eyal, Ohad Naharin, haben ihre gefragtesten Stücke mit der Company aus Stuttgart einstudiert. Der Abend löst ein, was er verspricht und katapultiert die Gauthier Dance/ /Dance Company damit in die Weltspitze. Weichheit und Wildheit bringt Hofesh Shechter in »Uprising« zusammen. Nach dem raufwütigen Männerstück setzen Gai Behar und Sharon Eyal mit sechs Tänzerinnen einen radikalen Kontrapunkt: »Killer Pig« könnte zeitgenössischer nicht sein. »Minus 16« von Ohad Naharin bringt das Publikum zum Kochen. Gerade im Zusammenhang entwickeln die drei Stücke eine Dynamik mit maximaler Sprengkraft und niemand verlässt unbewegt den Saal. Mega Applaus. Haus der Berliner Festspiele, Berlin Fr 12. April 2019 um 20 h Sa 13. April 2019 um 20 h So 14. April 2919 um 20 h Restkarten an der Abendkasse Theater Schweinfurt Fr 3. Mai und Sa 4. Mai 2019 Tollhaus Karlsruhe Di 7. und Mi 8. Mai 2019 Grand Théâtre de la Ville de Luxembourg Di 21. Mai 2019 um 20 h

Idea

»The mind, once stretched by a new idea, never returns to its original dimensions.«
Ralph Waldo Emerson

Kluge Gefühle

© Dorothea Tuch
It’s showtime: Das Stück beginnt mit einer der »36 Fragen« aus Arthur Arons soziologischem Experiment von 1997. Es hätte auch gut Frage Nr. 24 sein können: »Was denkst du über die Beziehung zu deiner Mutter?» Um eine Mutter-Tochter Beziehung geht es in »Kluge Gefühle«, um Verletzlichkeit, Einsamkeit, Gewalt, Tod und Tabu. Es ist die Geschichte der Autorin Maryam Zaree. Im Stück heißt sie Tara, gespielt von Eva Bay. Die eigentlich zentrale Figur aber ist die Mutter Shahla: Anke Engelke lässt sie bei ihrer Aussage vor dem Tribunal in Den Haag ganz pur und gerade vortragen – ohne Pathos, dafür mit viel Menschlichkeit. Es gelingt Anke Engelke die wenigen Sätze über die drastischen Ereignisse in Evin, dem meinst gefürchtetsten Foltergefängnis des Iran, fühlbar zu machen. Sie stellt sich furchtlos zur Verfügung und lässt das wirken, was sie sagt. Das schafft einen Raum für geteilte Erfahrung. »Kluge Gefühle« ist Maryam Zaree erstes Theaterstück, Nils Bormanns erste Regiearbeit und Anke Engelkes erste dramatische Theaterrolle. Anders als die Uraufführung beim Heidelberger Stückemarkt im April diesen Jahres verortet das Regie/Dramaturgen-Team Bormann/Zaree die Inszenierung zwischen einer Sitcom a la »Linie 1« und einem nüchternen Doku-Drama. Trotz manch stereotyper Phrasen und inszenatorischer Mutlücken ein klug gebauter Erstling und eine Anke Engelke, die man gesehen haben muss. HAU 3, Hebbel am Ufer, Berlin Mi 13. Juni 2018 um 20 h Do 14. Juni 2018 um 20 h

Rückkehr nach Reims

© Arno Declair
Als sein Vater stirbt, reist Didier Eribon zum ersten Mal nach Jahrzehnten der Abwesenheit in seine Heimatstadt Reims. Eribon hat ein Buch darüber geschrieben, viele Interviews gegeben. Thomas Ostermeier hat zusammen mit Sébastien Dupouey einen Dokumentarfilm dazu gedreht, der im Stück ein zentrales Element bildet. Der Autor Eribon erzählt seine persönliche Geschichte und fragt, warum ein Großteil des kommunistisch wählenden Milieus, dem er entstammt, inzwischen zum Front National übergelaufen ist. Es gibt Regionen, in denen der FN sechzig, siebzig Prozent der Stimmen bekommt. Die Arbeiter fühlen sich verraten und verkauft. Sie kommen nicht vor. Niemand sieht sie. Was findet man also an diesem Theaterabend, was die Medien nicht schon ausführlich verhandelt hätten? Ostermeier lässt in weiten Teilen Nina Hoss das Voice-over zu den Filmbildern im Hintergrund live einsprechen. Das Tonstudio-Bühnenbild macht die Anordnung aber noch nicht zum Theaterstück und so gibt es in der zweiten Hälfte Dialoge zwischen der Figur des Dokumentarfilmregisseurs, dem Tontechniker und Nina Hoss, die Nina Hoss spielt. Deindustrialisierung, Neoliberalismus, schwuler Autor, das sind bekannte Zutaten und keine »Breaking News«. Einziger irritierender Moment, als Nina Hoss weiter mit vierter Wand spielt und zeitgleich die beiden anderen Darsteller mit dem Publikum interagieren: Es gibt Migranten-Rap zum Mitklatschen. Alles Theater? Als der Eribon Text fertig gesprochen ist bringt Nina Hoss ihren Vater ins Spiel. Und das ist das hoffnungsfrohe Surplus. Sie spielt, dass sie sich dazu überreden lässt die Geschichte von Willi Hoss zu erzählen (der Kommunist, Grünenmitgründer und Umweltaktivist ist ihr Vater im echten Leben). Man glaubt ihr das Zögern nicht. Vielleicht, weil die Figur Nina Hoss in diesen letzten Minuten des Stückes sich mit Willis Tochter konfrontiert sieht. Ein atmosphärisch gut gebauter Abend – und doch wenig überraschend. Schaubühne Berlin Di 8. Mai 2018 um 20 h Mi 9. Mai 2018 um 20 h Do 10. Mai 2018 um 20 h Fr 11. Mai .2018 um 20 h Sa 12. Mai .2018 um 16 h Di 15. Mai 2018 um 20 h, englisch Mi 16. Mai 2018 um 20 h, englisch

Faust

© Thomas Aurin
Ein Rausch, ein Fest, ein Faust. Faust nach Castorf. Sieben Stunden. Text-Konglomerat aus Goethe, Zola, Fanon, Sartre, Celan. Und schnell und unbegreiflich schnelle wechseln magische Momente mit tiefem schauervollen Verwandlungswust. »Kunst braucht Wahnsinn«, sagst Castorf und bietet alles auf, was er und seine Spieler und Künstler in den letzten 25 Jahre trainiert haben. Martin Wuttkes Faust lässt einen staunen – mit wie viel Selbstverständlichkeit er das alles sein kann: alt, jung, epileptisch, sehnend, fühlend, abgründig. Marc Hosemanns Mephisto, der unruhige Pudel, treibt Faust zum globalen Unternehmertum, Egotrip XXL. Alexander Scheer lässt es krachen als Chris Dercon, als Lord Byron, als Anaxagoras. Dem männlich verdrängenden Prinzip entgegen reitet Valery Tscheplanowa leuchtende Margarete, die ewig Weibliche. Da erscheint, wie das As aus dem Ärmel, Sophie Rois. Als Hexe singt und zaubert sie ganz in ihrem Element. Vom Feinsten. Auch die Bühnenmaschine aus Kamera- und Technikteam liefert Hollywood in Echtzeit. Zur Hölle! L’enfer! Algerienkrieg, Kolonialisierung, Holocaust, Pariser Metro Station Stalingrad. Man versteht nicht alle der uferlosen Assoziationen, Seitenhiebe, Anspielungen, Lachnummern, Durchhänger, Nebenfiguren. So sagt Monsieur Bordenave: »Was bedeutet es? Und wenn es nichts bedeutet, warum ist es dann so lang?« Zustimmendes Raunen im Zuschauerraum. Wer hat gewonnen? Nach sieben Stunden ist das egal. Brillant gespielt, volles Rohr, alles gegeben. Großes Welttheater. Berliner Festspiele Mo 7. Mai 2018 um 18 h Di 8. Mai 2018 um 18 h

Null

© Thomas Aurin
Nichts ist in diesen Zeiten mehr sicher, nicht mal die Null. Im neuen Stück von Herbert Fritsch loten, suchen, verlieren sich neun Spieler im »groud zero« der ausgeräumten Schaubühne. Die Null ist nicht Nichts, also muss da etwas zu finden sein. So gibt es im ersten Teil eine Ver-Suchs-Anordnung mit gesprochenen und gesampelten Versatzstücken, wie aus einem Probenmittschnitt, aufgehängt als schwebendes Verfahren. Ist man beim Tanztee mit zwei Schritt nach vorn und zwei zurück wieder bei Null? Ist die Mitte auch eine Richtung? Der Stillstand eine schwarze Null? Ist es nichtssagend, wenn man nichts sagt? Und nähert man sich so der Null? Es wird gependelt, geschritten, getanzt, durchwandert, umrundet, geträllert, geblasen, gestapelt (hoch und tief), gerutscht, geleert, gefüllt, bevölkert. Am Ende erfreut die Null-Nummern-Revue als eine Aneinanderreihung von Fingerübungen: mit leuchtenden Momenten, mit Längen, aber echte Stille als Nullpunkt trauen sie sich nicht. Zum Finale mündet die symphonische Extase auf Blechblasinstrumenten in einen Mensch-Maschinen-Tanz. Alles virtuos vorgeturnt, schadenfreudig überspannt und doch für den großen Wurf etwas flach gespielt. Schaubühne, Berlin Mo 26. März 2018 um 20:30 h Di 27. März 2018 um 20:30 h Mi 28. März 2018 um 20:30 h Fr 30. März 2018 um 20:30 h So 1. April 2018 um 20 h Mo 2. April 2018 um 20 h Fr 27. April 2018 um 20 h Sa 28. April 2018 um 20:30 h So 29. April 2018 um 20.30 h Mo 30. April 2018 um 20 h Di 1. Mai 2018 um 20 h Mi 2. Mai 2018 um 20 h

Grüß mir den Mond!

© Katharina John
Ulrich Tukur und die Rhythmus Boys führen uns mit Ihrem neuen Programm durch die Nacht – es beginnt mit Wolfgang Borcherts Laternentraum: »Wenn ich tot bin, möchte ich immerhin so eine Laterne sein …«. Ulrich Tukur spricht so vertraut aus dem Bühnendunkel, als säße er neben einem auf der Bettkante. Und dann dreht das Quartett auf: mit Spielfreude, Eleganz, Witz, Swingmusik und deutschen Chansons aus den 1920 und 30er Jahren. Die Klassiker »Moonlight Serenade«, »Moonglow«, »Night and Day« unterbricht Ulrich Tukur mit abstrusen Geschichten über seine alten Freunde Cole Porter, Benny Goodman, Glenn Miller und Neil Amstrong (ja, den auch). In der zweiten Hälfte tauschen sie die tadellosen Anzüge gegen Pyjamas ein: Ulrich Mayer, Günter Märtens, und Kalle Mews geben zusammen mit dem Schauspieler Ulrich Tukur die Klang- und Schwingungserzeuger, dazwischen Gedichte und Geschichten, die sich bisweilen in mondähnliche Höhen versteigen. Es kommen allerlei Beerdigungen und Caravanen vor und so lernen wir, dass »Dream a little dream of me« schon 1931 geschrieben wurde oder die BVG in »Mit der letzten Straßenbahn« von 1943 vorkommt. An Musikalität und Unterhaltung ist die Reise zum Mond nicht zu überbieten. So schwingt und klingt der Abend aus: tosender Applaus. An Schlaf ist nicht zu denken. Theater am Kurfürstendamm, Berlin So 18.2.18 um 19 h Mo 19.2.18 um 20 h Scharoun Theater, Wolfsburg Do 22. Februar 2018 um 19:30 h Schauspielhaus Bochum Fr 23.2.18 Bochum, Schauspielhaus Weitere Termine: 24.2.18 Leverkusen, Erholungshaus 25.2.18 Leverkusen, Erholungshaus 27.2.18 Oberhausen, Ebertbad 28.2.18 Oberhausen, Ebertbad 01.3.18 Dortmund, Konzerthaus 02.3.18 Bielefeld, Oetkerhalle 03.3.18 Hannover, Theater am Aegi 04.3.18 Hannover, Theater am Aegi 05.3. Nürnberg, Theater 07.3.18 München, Prinzregententheater 09.3.18 Freiburg, Theater 10.3.18 Friedrichshafen,Graf Zeppelin Haus 11.3.18 Heidelberg, Historische Stadthalle 12.3.18 Frankfurt, Alte Oper 13.3.18 Stuttgart, Theaterhaus 15.3.18 Karlsruhe, Tollhaus 16.3.18 Erfurt, Alte Oper 17.3.18 Dresden, Kulturpalast 18.3.18 Leipzig, Gewandhaus 19.3.18 Hamburg, Laeiszhalle 20.3.18 Hamburg, Laeiszhalle

Michael Kohlhaas

© Armin Smailovic
Es beginnt mit einem Zaubertrick: Kohlhaas wird geköpft. Vorhang. Ein Satz von Kleist mit Märchenerzählerstimme aus dem Off. Dann eine lange Slapsticksequenz: drei Spieler in einer Bretterbude (Thomas Niehaus, Jörg Pohl, Paul Schröder). Man hält sie für reaktive Beamte, die aussehen wie Untote und eintreffende Weisungen ausführen, bis sich nach 42 wortlosen Minuten herausstellt, dass sie Unternehmer sind (die Gebrüder K. nämlich) und die Flut der Weisungen sie plötzlich übermannt. Antú Romero Nunes setzt bei seiner Inszenierung alles aufs Spiel. Er scheitert und gewinnt zugleich und es ist ihm Ernst mit beidem. Wie Michael Kohlhaas. Kohlhass will sich Recht verschaffen. Kleist beschreibt den Konflikt zwischen Naturrecht und positivem Recht, das durch Gesetzgebung entsteht. Der Abend ist eine vehemente Aufforderung sich genau damit auseinander zu setzen. Wenn Konzerne praktisch keine Steuern zahlen, ist die öffentliche Erregung groß. Nach geltendem Recht tun sie nichts Ungesetzliches. Es muss das positive Recht also dem ethisches Empfinden (Naturrecht) angepasst werden. Das fordert Kohlhass für sich ein. In einem Feuerwerk aus Ideen und Anspielungen prasseln, lodern, brennen die Kohlhaas’schen Fragen nach Ordnung und Unordnung, Macht und Ohnmacht, Recht und Gerechtigkeit, Verunsicherung und Sicherheit, Verfolgen und Verfolgt, Kampf und Verletzlichkeit, Scheitern, Gelingen und danach ein Ende zu finden. Nunes glückt das Kunststück einer komödiantischen Tragödie, einer tragischen Komödie. Ein kluger Abend mit reichlich Stoff sich zu erregen. Thalia Theater Hamburg Sa 27. Januar 2018 um 19:30 h Di 6. Februar 2018 um 20 h Sa 10. Februar 2018 um 20 h So 11. Februar 2018 um 15 h So 18. Februar 2018 um 19 h Fr 23. Februar 2018 um 20 h Sa 10. März 2018 um 20 h Mi 14. März 2018 um 20 h Do 15. März 2018 um 20 h Mo 23. April 2018 um 20 h Di 15. Mai 2018 um 20 h Fr 25. Mai 2018 um 20 h Do 07. Juni 2018 um 20 h So 17. Juni 2018 um 17 h Sa 23. Juni 2018 um 14 h

Nederlands Dans Theater

© Rahi Rezvani
»Das Beste. Oder Nichts«, sagte einst Gottlieb Daimler. Dieser Abend ist das Beste. Vier Stücke von drei Choreografinnen und zwei Choreografen spannen den Bogen des zeitgenössischen Tanzes von Marco Goeckes bizarren Gewaltbewegungen »Woke up Blind« bis hin zum seelenvollen Fließen und Kreisen von Sol León & Paul Lightfoots »Safe as Houses«, das das I Ging, das Buch der Wandlungen, mit Bachs »Komm süßer Tod« zu Ende malt. Dazwischen entkommen wir bei »The missing door« kaum dem Sog des futuristischen Irrgartens von Gabriela Carrizo aus Räumen, Zeitschleifen und unterdrückten Figuren. Mit Crystal Pites »The Statement« erklimmt das Ensemble des Nederlands Dans Theater den Gipfel. In rasendem Tempo und mit einzigartiger Präzision performen vier Tänzer einen Dialog aus Worthülsen. Jonathon Young hat die Texte geschrieben, die als Soundtrack aus dem Off die Bewegungen unterlegen. Jeden Tag hört man Politiker solche Sätze sagen, die eigentlich nichts sagen. Die Diskrepanz zwischen gesprochenem Wort und Subtext wird deutlich. Die Archaik der Bewegung macht die Absurdität des intellektuellem Geschwafels erst sichtbar und spürbar. Crystal Pites lässt die Tänzer mit dem Konferenztisch, miteinander und mit den gegnerischen Parteien interagieren. Ihre prägenden Jahre mit William Forsythe und seiner Company werden hier deutlich. Die überragende darstellerische Ausdruckskraft der NDT-Tänzerinnen und Tänzer zusammen mit den innovativsten Choreografinnen und Choreografen unserer Zeit machen diesen Abend zu einem wahren Gesamtkunstwerk. Haus der Berliner Festspiele, Berlin Mi 29. November 2017 Do 30. November 2017 Fr 1. Dezember 2017 Sa 2. Dezember 2017 jeweils 20 h Festspielhaus Baden Baden Sa 16. Juni 2018 um 18 h So 17. Juni 2018 um 17 h Sadler’s Wells, London Di 26. Juni 2018 Mi 27. Juni 2018 Do 28. Juni 2018 Fr 29. Juni 2018 jeweils 19:30 h

Caligula

© Julian Röder
»Die Menschen sterben und sie sind nicht glücklich,« sagt Caligula am Anfang des anderthalb stündigen Abends. Er stellt das fest, aber glauben können wir ihm an keiner Stelle, dass er nur »ein wenig glücklich sein möchte.« Constanze Beckers Caligula scheint im Trockengefrierverfahren jedes Leben und jede Menschlichkeit verloren zu haben. So sinnentleert die Figur von Mord zu Mord Richtung Selbstzerstörung stolziert, so wenig betrifft uns das, was auf der Bühne passiert. Antú Romero Nunes zielt hoch und stellt auch seinen Glauben an Theater, an Kunst in Frage. Sein groteskes Spektakel erzeugt Momente poetischer Absurdität und Kraft, wenn etwa die eben gemeuchelte Annika Meier virtuos wieder aufersteht. Das macht sie mit großer Verve. Aber anders als bei Richard III oder Orestie erreicht Nunes mit seiner Inszenierung die humanitäre Relevanz des Camus Textes nicht. »Wer alles versteht, handelt nicht«, heißt es am Ende. Und so verstehen wir vielleicht nicht Nichts, aber doch zu wenig. Berliner Ensemble, Berlin Fr 29. September 2017 So 1. Oktober 2017 Mo 2. Oktober 2017 Di 10. Oktober 2017 Di 17. Oktober 2017 Mi 18. Oktober 2017 Mi 25. Oktober 2017 So 29. Oktober 2017 jeweils um 19:30

Kreatur

© Sebastian Bolesch
Ein Klang-, Licht-, Kostüm- und Bewegungsteppich vom Feinsten. Anderthalb Stunden lang breiten Sasha Waltz und ihre vierzehn Tänzer ein Perfektionssektakel auf der Bühne aus, das ästhetischer kaum sein könnte. Die Kostüme entstammen gleichsam einem Bauhaus des 21. Jahrhunderts und illustrieren, wie schöne Hüllen manchmal nur schöne Geräusche produzieren – ohne etwa zu erzählen. Es gibt die Waltz’schen Körperansammlungen, -entblößungen, -verknotungen, dazu Verzerrfolien, Pusteblumenoutfits, einen Balken, eine Treppe. Es tut sich viel, manchmal auch unisono, allein die Wildheit der Kreaturen hält sich in klar definierten Grenzen. Kontrolle dominiert. Ausbrüche oder Überraschungen fehlen. Vielleicht hätte der Abend als begehbare Installation in seiner Breite gut funktioniert, die Verdichtung des Stoffes zu einem Bühnenstück hätte man sich weit deutlicher gewünscht. Jubelrufe und Buhs.
Tanz im August, Haus der Berliner Festspiele Do 24. August 2017 um 21 h Radialsystem Berlin Mi 20. Dezember 2017 Do 21. Dezember 2017 Fr. 22. Dezember 2017 Mi 27. Dezember 2017 Do 28. Dezember 2017 Fr 29. Dezember 2017 jeweils um 20 h

David Bowie

»Tomorrow belongs to those who can hear it coming.«

Das achte Leben (Für Brilka)

© Armin Smailovic
Ein Sog, ein Brennen, ein Jahrhundertroman. Über 100 Jahre und 1200 Seiten umspannt der Roman von Nino Haratischwili, erzählt den Aufstieg und Fall des Kommunismus aus der Sicht von fünf Generationen der georgischen Familie Jaschi: Warum etwa aus dem freundlichen Kind Kostja ein gar nicht mehr freundlicher Großvater wird. Jette Steckel schafft mit ihrer Bühnenfassung eine magische Adaption, aus dramatischen Episoden und heiteren Momenten, die den Zuschauer fast fünf Stunden in ihren Bann zieht. Die neun Spieler verweben die Verstrickungen ihrer Figuren mit dem System, mit den Herrschenden, mit den anderen, zu einen großen roten Teppich, der im Laufe des Abends Stück für Stück abgerollt wird. Sie tanzen, singen und spielen vor historischen Filmprojektionen und geben eine Ahnung davon, wie es hinter dem eisernen Vorhang gewesen sein könnte. Geschichte ist immer erstmal subjektiv – bevor Historiker bemüht sind eine Art Objektivität herzustellen. Jette Steckel bringt uns die Subjektivität der Figuren ganz nah und schreibt damit Geschichte. Großes Kino, großes Theater. Stehende Ovationen. Thalia Theater Hamburg Di 11. April 2017 um 19 h Sa 22. April 2017 um 19 h So 23. April 2017 um 14 h Sa 6. Mai 2017 um 19 h So 7. Mai 2017 um 19 h Mo 15. Mai 2017 um 19 h Di 16. Mai 2017 um 19 h Mi 28. Juni 2017 um 19 h Do 29. Juni 2017 um 19 h Fr 7. Juli 2017 um 19 h

Lohengrin

© Marcus Lieberenz
Klaus Florian Vogt ist Lohengrin. Und seiner nicht einordenbaren gleichsam überirdischen Stimme kann man stundenlang zuhören. Er kommt als Gottgesandter, gestehst Elsa nach zwei Minuten seine Liebe, und stellt dazu gleich eine klare Bedingung: »Nie sollst du mich befragen …« – und damit eines der berühmtesten Leitmotive der Oper vor. Der mythische Retter mit Engelsflügeln findet in John Lundgren, als Friedrich von Telramund, einen starken Gegenspieler, dem stimmlich wie darstellerisch ein vielschichtiger und packender Zugriff gelingt. Es lohnt also die Besetzungsliste zu studieren. Kasper Holten will die politische Dimension des Stückes erzählen: Der Gerichtskampf ist auch ein Kampf um die Fürstenwürde von Brabant. Dafür hat er einige klare Bilder gefunden. Eine sehenswerte Inszenierung, die immer wieder mit Starbesetzungen aufwartet. Deutsche Oper Berlin So 5. Februar 2017 um 16 h

Salome

© Monika Rittershaus
Nicht gerade eine schöne Geschichte, die Oscar Wilde dramatisierte und Richard Strauss vertonte. Beide fasziniert von der christlich-mythologische Frauengestalt, die fortan weibliche Grausamkeit und erotische Schönheit zugleich verkörperte. Claus Guth findet eine schlüssige Inszenierung für Strauss’ rauschhafte Musik und die scheinbar unerklärliche Grausamkeit der Salome. Aus dem Tanz der sieben Schleier macht er eine Rückschau in die Kindheit der Hauptfigur, so dass am Ende sieben Salomes über die Bühne tanzen. Der 90 Minuten Abend ist auch stimmlich hochkarätig besetzt: Allison Oakes dramatisiert kongenial diese Zerrissenheit der Figur, der Gewalt angetan wurde und die am Ende Gewalt antut. Ein hörenswerter Abend. Deutsche Oper Berlin Fr 13.01.2017 um 20 h
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